Die Bahn macht mobil, nicht nur auf der Schiene, sondern auch im Marketing. Gabriele Handel-Jung, Marketingleiterin bei der Deutschen Bahn, über kommunikative Weichenstellungen, einen tabubrechenden Viral und überraschende Sonderzüge als haptische Werbeträger.

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Frau Handel-Jung, die Deutsche Bahn muss immer wieder Kritik einstecken, v.a. Themen wie Preispolitik, Pünktlichkeit und mangelnder Komfort sorgen regelmäßig für Aufreger. Woran liegt es, dass Bahn Bashing so beliebt ist?

Gabriele Handel-Jung: Die Deutsche Bahn ist ein Konzern, zu dem jeder etwas sagen kann. Das ist so ähnlich wie beim Fußball oder beim Wetter. Schließlich bewegen wir jeden Tag mehr als sieben Mio. Menschen. Und wenn bei nur einem Prozent davon etwas nicht rund läuft, sind das immer noch ziemlich viele.

Zum Vergleich: So viele Personen, wie in einem Jahr mit der Lufthansa fliegen, haben wir in wenigen Tagen an Bord. Dazu kommen die Bahnhöfe – 500.000 Besucher pro Tag allein im Hamburger Hauptbahnhof. Ich sehe es positiv: Sachliche Kritik bringt uns weiter, und wer nicht kritisiert wird, ist auch nicht relevant.

Mit besserer Qualität will die Bahn wieder wirtschaftlich erfolgreicher werden. Dazu hat Ihr Unternehmen Ende 2015 das Programm „Zukunft Bahn“ vorgestellt. Worum geht es hier konkret?

Gabriele Handel-Jung: Es handelt sich um ein mehrjähriges Konzernprogramm, das in drei Etappen aufgeteilt ist: 1. Ärgernisse beseitigen, 2. Qualität bieten, die überzeugt, und 3. Leistung zeigen, die begeistert. Der konsequente Fokus auf den Kunden steht im Mittelpunkt. Zu den Maßnahmen zählen zum Beispiel der Ausbau des WLAN, das ab 2017 im ICE auch in der 2. Klasse gratis sein wird, oder das Reset-Programm bei allen ICE- und Intercity-Zügen, in das wir 15 Mio. Euro investieren, um alle Funktionsstörungen zu beseitigen.

Außerdem haben wir im Rahmen von „PlanStart“ sogenannte Knotenkoordinatoren eingesetzt, die an den zehn verkehrsstärksten Bahnhöfen überprüfen, was den pünktlichen Start der Züge beim Zeigersprung verhindert. In Bahnhöfen wie Köln, die zu den Flaschenhälsen in unserem Netz zählen, konnten wir die Abfahrtspünktlichkeit so innerhalb weniger Wochen um mehr als zehn Prozentpunkte steigern. Das sind erste Schritte, die wir in diesem Jahr bereits auf die Schiene gebracht haben.

Einige dieser Punkte basieren nicht zuletzt auf Ergebnissen der Marktforschung, ein Bereich, den Sie neben dem Marketing verantworten. Was wird vorrangig evaluiert?

Gabriele Handel-Jung: Die Marktforschung ist ein sehr wichtiges Instrument innerhalb des Marketings. Das reicht von der Erfassung von Kundenmeinungen zu konkreten Produkten und Dienstleistungen über Labs, in denen wir zum Beispiel Sitzkomfort, Farbgebung oder Lichtführung testen, bis hin zu zahlreichen Monitoren zur Kundenzufrieden im Personen- und Güterverkehr. Im Marketing überprüfen wir v.a. Kommunikationsstrategien und geplante Kampagnen. Und natürlich führen wir Messungen zur Werbeeffizienz durch. Im Media Modelling analysieren wir, wo ein Kunde welche Kampagnen wahrnimmt und welcher Kanal am Ende einen Kaufimpuls auslöst.

Welche Schlussfolgerungen ergeben sich daraus für die Wahl der Werbemaßnahmen?

Gabriele Handel-Jung: Die Anforderungen an die Kommunikation werden immer komplexer, während die Werbebudgets nicht analog dazu steigen. Wir müssen also noch stärker auf die Wirtschaftlichkeit unserer Maßnahmen schauen. So fließen inzwischen 25% der Werbegelder in Online und Mobile, wo wir die Zielgruppen gut targetieren können. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf TV, um die Millionen Menschen, die wir täglich bewegen, zu erreichen.

Strategisch setzt die Bahn mit der medienübergreifenden Markenkampagne „Diese Zeit gehört Dir“ seit mehr als einem Jahr auf den Faktor Zeit, den Reisende mit der Bahn für sich nutzen können. Geht diese Werbeoffensive auf?

Gabriele Handel-Jung: Die Kampagne zählt zu den erfolgreichsten der letzten zehn Jahre, weil es uns mit dem Claim gelingt, den Zeitgeist zu treffen und die sehr unterschiedlichen Bedürfnisse unserer Kunden anzusprechen. Diese differenzierte Aufladung ist die große Stärke der Kampagne: Alle Angebote ordnen sich einem Gedanken unter, ganz gleich ob es um die Bereitstellung von WLAN im ICE geht oder um die neue Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Berlin und München, für die der ICE ab Dezember 2017 weniger als vier Stunden brauchen wird. Der Claim ist glaubwürdig.

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Nikolaus-Flashmob: Unter dem Motto „Rentiere waren gestern. Die Bahn macht mobil.“ sorgte die DB sowohl am Frankfurter Hauptbahnhof als auch im Netz für viel Aufmerksamkeit.
Auch in der Fachpresse kam der Kommunikationsansatz gut an. Der Tenor: „Die neue Kampagne ist wie die Deutsche Bahn. Besser als ihr Ruf.“ Als bemerkenswerter Tabubruch wurde darüber hinaus die sehr emotionale Jubiläumskampagne für den ICE bewertet, die überraschend die Liebesgeschichte eines schwulen Fußballers in Szene setzt und zur EM ein echtes Statement war. Welche Intention steckt hinter diesem Online-Spot?

Gabriele Handel-Jung: Statt unser 25-jähriges ICE-Jubiläum mit einem heroischen Spot zu zelebrieren, wollten wir etwas präsentieren, das den Nerv der Zeit trifft und unsere gesellschaftliche Verantwortung widerspiegelt. Ich würde einmal vorsichtig behaupten, dass dies gelungen ist und wir auf das Ergebnis stolz sein können. Allein auf YouTube wurde „Der Fan“ innerhalb der ersten zwei Monate mehr als 2,6 Mio. Mal aufgerufen

Zudem zahlt der Spot auf das Thema Content ein. Ebenso wie ein soziales Experiment, das wir kürzlich mit Familien durchgeführt haben. Dabei wurden Kinder gefragt, was sie sich am meisten wünschen. Natürlich waren bei den Antworten auch materielle Dinge dabei, aber am häufigsten wünschten sie sich Zeit – Zeit für gemeinsame Erlebnisse mit ihren Eltern.

Diese und ähnliche Aktionen machen deutlich, dass wir mehr als A und B verbinden. Unsere Kunden bekommen etwas, das so relevant ist wie nie zuvor: Zeit für sich, die sie individuell nutzen können.

Abseits der Klassik und den Online-Kanälen kommuniziert die Deutsche Bahn auch haptisch. Welche Bedeutung haben gegenständliche Werbeträger in Ihrem Marketingmix?

Gabriele Handel-Jung: In der B2B-Kommunikation spielt das Thema eine große Rolle. Die Kollegen von DB Schenker nutzen haptische Werbung etwa für die Neukundengewinnung und Kundenbindung, darunter u.a. USB-Sticks, die in ihrer Form die verschiedenen Transportmittel auf der Schiene, auf dem Wasser, auf der Straße oder in der Luft aufgreifen. Auch der DB Schenker-Kalender ist enorm erfolgreich.

Darüber hinaus setzen wir Werbeartikel im B2C-Bereich und in der internen Kommunikation ein, z.B. Schlüsselanhänger mit originellen Aufdrucken auf Recruiting-Messen, hochwertige personalisierte Füller bei Mitarbeiterjubiläen, rotes Himbeer-Popcorn oder Fruchtgummis in ICE-Form als Giveaway. Manches davon stammt aus unserem klassischen Sortiment, das immer konzernweit verfügbar ist, anderes wird zu speziellen Aktionen produziert.

Was sind solche Anlässe und wie werden sie haptisch aufgegriffen?

h11 db 4 - „Wir verbinden mehr als A und B“Gabriele Handel-Jung: Das können Streckeneröffnungen sein, zu denen wir etwa Thermobecher einsetzen oder Miniatur-Züge, auf denen die Strecke und das Datum der Eröffnung stehen. Für die Einweihung der ICE-Neubaustrecke Köln-Rhein/Main im Jahr 2002 unter dem Motto „Die Bahn schenkt Ihnen eine Stunde“ haben wir zudem eine Sonderkollektion von Uhren eingesetzt: 900 schwarze und 100 rote Uhren, auf deren Zifferblatt eine rote Eins eingelasert war.

Eine weitere limitierte Sonderauflage ist 2013 in Kooperation mit Ferrero entstanden: fünf historische Modelle für das Überraschungsei. Einige davon zieren bis heute meinen Schreibtisch.

Promotionaktionen in Zügen, Bahnhöfen und auf öffentlichen Plätzen sind ein weiterer Bestandteil Ihrer Werbemaßnahmen und ein klassischer Einsatzbereich für haptische Werbung …

Gabriele Handel-Jung: Solche Aktionen machen wir zwei- bis dreimal im Jahr. Das meiste davon fällt in die Sommerzeit und richtet sich an unsere jüngeren Bahnfans, an die wir Buntstifte, Malbücher oder unsere kleinen ICEs verteilen.

Eine besonders sympathische Live-Aktion, die viel Aufmerksamkeit generiert hat, war unser Nikolaus-Flashmob vor vier Jahren am Frankfurter Hauptbahnhof. Unter dem Motto „Rentiere waren gestern. Die Bahn macht mobil.“ stiegen rund 400 Weihnachtsmänner aus einem ICE aus und verteilten an die Wartenden Schokoladen-Nikoläuse, während Max Mutzke „Santa Claus is coming to town“ sang. Das Video dazu wurde noch am selben Tag auf YouTube veröffentlicht und innerhalb eines Tages mehr als 500.000 Mal angeklickt.

Darüber hinaus bieten Sie auf bahnshop.de zahlreiche Produkte zum Verkauf an. An welchen Kriterien orientiert sich das Portfolio?

Gabriele Handel-Jung: Viele Produkte im bahnshop.de greifen Themen rund ums Reisen auf, wie Koffer, Uhren oder kleine Bluetooth-Lautsprecher. Ein weiterer Aspekt ist die Exklusivität, die v.a. bei Sonderanfertigungen wie den DB-Uhren, dem ICE-Kugelschreiber oder Spielzeugartikeln wie dem ICE Bobby Train zum Tragen kommt. Und auch die Möglichkeit zur Personalisierung ist im Merchandisingumfeld ein immer wichtiger werdendes Thema. Darauf setzt z.B. das Zuglaufschild, das zu Jubiläen oder Hochzeiten mit dem jeweiligen Namen des Empfängers sowie wichtigen Lebensstationen individualisiert werden kann. Die digitalen Techniken zur Anbringung von Werbung ermöglichen hier immer flexiblere Personalisierungen und mit Blick in die Zukunft des 3D-Drucks vielleicht auch einmal Unikate als wirklich persönliche Werbeträger.

Was sind Bestseller?

Gabriele Handel-Jung: Bahnaffine Produkte, die uns charakterisieren, sind der Renner. Im Online-Shop wurden allein im vergangenen Jahr mehr als 1.100 Lokführer-Rucksäcke und knapp 2.000 Uhren verkauft. Von den Sonderanfertigungen in ICE-Form wie USB-Sticks, Powerbanks und Kugelschreiber haben wir mehr als 4.500 Exemplare verkauft. Und für Sondermodelle von Zügen, Bussen und Autos gab es knapp 6.200 Bestellungen.

Sie haben erwähnt, dass die Deutsche Bahn vieles misst und evaluiert. Was sagt die Marktforschung zum Einsatz haptischer Werbung?

Gabriele Handel-Jung: Ob gegenständliche Werbeträger am Ende dazu führen, dass Menschen mehr mit der Bahn unterwegs sind, kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Aber es ist definitiv ein Instrument zur Kundenbindung, das dazu dient, den Menschen eine nutzbringende Freude zu machen. Darüber hinaus bin ich als Marke im Umfeld des Konsumenten präsent, und damit auch, wenn er seine nächste Reise oder Frachtsendung plant. Ich erhöhe mit haptischer Werbung also meine Reichweite und die zeitliche Dauer der Markenpräsenz.

// Mit Gabriele Handel-Jung sprach Andrea Bothe.

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Fotos: Deutsche Bahn AG

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