Der Hamburger SV ist ein Traditionsclub mit breiter Fangemeinde. Die „Raute im Herzen“ tragen allein mehr als 70.000 Mitglieder, die Fanbasis ist jedoch weit größer, was sich auch in der wachsenden Beliebtheit von Fanartikeln niederschlägt. Der Verkauf von Trikots, Schals, Caps & Co. macht mittlerweile zwischen 6 und 7% des Gesamtumsatzes aus – Tendenz steigend. Haptica sprach mit Timo Kraus, Leiter des HSV-Merchandising, über Wir-Gefühle, singende Toaster und Trainingsanzüge im Alltag.

 

Viele Unternehmen bzw. Marken wünschen sich nichts sehnlicher, als aus Konsumenten Fans zu machen. Im Profisport ist das dagegen Alltag. Was haben Fußballvereine, von dem normale Unternehmen nur träumen können?

Timo Kraus: Der Sport lebt von seiner Emotionalität, von der Möglichkeit, gewinnen oder verlieren zu können. Dieses Mitfiebern schafft eine enge Verbundenheit zu dem Verein, wie es in anderen Unternehmen sicher nicht möglich ist. Hinzu kommt die Identifikation mit den Spielern selbst. Während Marken Testimonials engagieren, um Authentizität zu vermitteln, sind bei uns die Spieler selbst die Testimonials. Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt ist zudem das Wir-Gefühl der Fans – diese Gemeinschaft, die entsteht, wenn man sich zusammen freut oder sich zusammen ärgert.

Die Emotionen, die der Sport hervorruft, sind sicherlich einzigartig. Dennoch ist es ja ein weiterer Schritt, wenn Fans auch Geld für Fanartikel ausgeben. Was bewegt sie dazu?

Timo Kraus: Dahinter steckt der Wunsch, ein klares Bekenntnis zum Lieblingsverein abzugeben. Das gelingt mit keinem anderen Zeichen so wie mit Trikot, Cap oder Schal. Der Fanartikel ist daher auch ein einzigartiger Multiplikator, der nicht nur dazu beiträgt, zusätzliches Geld zu erwirtschaften, sondern auch die Marke des Vereins nach außen zu tragen. Das sieht man vor allem in Zeiten sportlicher Erfolge, wenn Vereine auch über die Grenzen der Region hinaus eine Strahlkraft entwickeln. Jüngstes Beispiel ist der Verein Borussia Dortmund, der nach der Meisterschaft im letzten Jahr in der allgemeinen Wahrnehmung deutlich höher positioniert ist als zuvor. Solche Erfolge entwickeln dann auch eine Sogwirkung, die sich z.B. auf den Trikotverkauf deutlich auswirkt.

Ist der sportliche Erfolg wirklich allein entscheidend für die Akzeptanz von Fanartikeln? Kann ein Verein wie der Hamburger SV – immerhin der einzige Verein, der seit Bestehen der Bundesliga in der Eliteklasse kickt – nicht auch z.B. mit seiner Tradition punkten?

Timo Kraus: Bis zu einem bestimmten Niveau ist das möglich, zumal wir natürlich auch über eine entsprechende Fanbase verfügen. Und wir versuchen auch bestimmte weitere Themen gezielt zu lancieren, etwa das 125-jährige Bestehen des Vereins in diesem Jahr. Aber wir haben schon gemerkt, dass die Absatzkurve an Fanartikeln, in den Jahren, in denen wir international gespielt haben, deutlich nach oben zeigte. Um Begehrlichkeiten zu wecken, braucht es positive Impulse von außen. Und je größer der sportliche Erfolg, desto höher ist die Nachfrage nach Fanartikeln. Der Gewinn einer Meisterschaft setzt eine Emotionalität und ein Wir-Gefühl frei, dass schwierig zu erreichen ist, wenn man z.B. immer nur im Mittelfeld spielt.

Wie wichtig sind Stars?

Timo Kraus: Insbesondere im Trikotverkauf, dem nach wie vor stärksten Umsatzträger innerhalb des Merchandisings, ist die Akzeptanz höher, wenn man Weltstars vermarkten kann. Das haben wir gemerkt, als wir Spieler wie Ruud van Nistelrooy oder Ze Roberto unter Vertrag hatten. In diesem Jahr ist Mladen Petric einer der Stars. Wir haben aber viele junge, noch nicht so bekannte Spieler im Aufgebot, die die Fanherzen erst noch erobern  müssen – da ist der Trikotabsatz dann etwas schwieriger.

Zeigt die Absatzkurve beim Merchandising im Saisonverlauf ein gleichmäßiges Bild?

Timo Kraus: Es ist relativ deutlich zu erkennen, dass es zwei Peaks gibt: Zum einen der Saisonauftakt, wenn wir mit unserem neuen Katalog herauskommen, neue Spieler vorgestellt werden und die Fans bereits wieder heiß auf Fußball sind. Und dann zu Weihnachten, denn es ist doch feststellbar, dass Fanartikel schwerpunktmäßig als Geschenke eingesetzt werden. Zum Ende einer Saison versuchen wir mit typischen Handelsmechanismen wie Sonderverkäufen den Absatz anzukurbeln und die Lager leer zu halten.

Sie sind seit mittlerweile mehr als zehn Jahren in der Merchandisingabteilung des Hamburger SV tätig. Wie hat sich die Nachfrage nach Fanartikeln in dieser Zeit entwickelt?

Timo Kraus: Für einen bedeutenden Schub hat sicherlich die Fußball-WM 2006 in Deutschland gesorgt. Das Bild von Millionen schwarz-rot-gold gekleideter und geschminkter Menschen hat die Akzeptanz, Fanartikel zu kaufen und zu tragen, enorm gefördert. In dieser Hinsicht war die WM für den gesamten Sport, nicht nur für den Fußball, eine Steilvorlage. Und wir merken, dass der Anspruch der Fans deutlich gestiegen ist, dass sie Fanartikel mit anderen Markenartikeln vergleichen und ein ähnliches Qualitäts-Level verlangen. In diesem Zusammenhang hat sich auch ein entsprechendes Preisgefühl entwickelt. Zudem treten sie regelmäßig mit Wünschen nach bestimmten Produkten an uns heran wie z.B. unseren Toaster, der nicht nur die Raute auf die Toasts brennt, sondern anschließend auch noch unser Vereinslied „HSV forever“ spielt. Der Fan verlangt eine enorme Vielfalt und immer wieder Neuerungen. Wir haben derzeit etwa 500 verschiedene Artikel im Sortiment und bemühen uns, jedes Jahr ca. 70% des gesamten Fanartikelsortiments auszutauschen.

Bei Neueinführung kostet ein Trikot zwischen 55 und 95 Euro. Wird dieses Preisgefüge vom Fan akzeptiert?

Timo Kraus: Die Trikotpreise werden nicht von uns allein bestimmt, sondern der Ausrüster, in unserem Fall also adidas, artikuliert bestimmte Zielvorgaben. Generell ist aber festzustellen, dass die Menschen bereit sind, für ihr Lieblingstrikot zu zahlen. Wir bemühen uns immer wieder, den Fans durch Sonderverkäufe und Aktionen entgegen zu kommen.

Ist parallel zu der Akzeptanz in Fankreisen auch das Anspruchsdenken des Vereins im Umgang mit Fanartikeln gestiegen? Welchen Stellenwert hat das Merchandising für den HSV?

Timo Kraus: Bundesligavereine sind mittelständische Unternehmen, die mittlerweile immer mehr wie Marken geführt werden. Das hat natürlich Einfluss auf alle Marketingaktivitäten und wirkt sich auch auf die Fanartikel aus. Die Grundphilosophie des Vereins soll sich in den Fanartikeln widerspiegeln, Logo und definiertes äußeres Erscheinungsbild müssen konsequent in allen Werbeartikeln, die wir einsetzen – ob in den Fanshops, in der Fußballschule oder im Kids Club –, wiedererkennbar sein. Innerhalb des Marketings nimmt Merchandising mittlerweile einen hohen Stellenwert ein, da mit dem Verkauf von Fanartikeln entsprechende Einnahmen erwirtschaftet werden. Anders als Tickets, die nur in einer bestimmten Zahl verkauft werden können, sind Fanartikel ja ein unerschöpfliches Gut, das immer wieder nachproduziert werden kann – das Potenzial, insbesondere im sportlichen Erfolgsfall, ist daher enorm. Konkret: Wir haben im letzten Jahr knapp 9,4 Mio. Euro über den Verkauf von Fanartikeln eingenommen, das sind etwa 6,5% des Gesamtumsatzes.

Ist da noch Luft nach oben?

Timo Kraus: Das Ende der Fahnenstange ist sicher noch nicht erreicht. In England oder bei den großen spanischen Vereinen Real Madrid und FC Barcelona z.B. ist der Fanartikelverkauf deutlich höher als in Deutschland. Allerdings gibt es auch soziokulturelle Unterschiede, die man beachten muss: In England z.B. ist es Gang und Gäbe, Trikot und Trainingsanzug des Lieblingsvereins auch im Alltag zu tragen, d.h. der Bedarf an Fanartikeln ist dementsprechend hoch. In Deutschland ist dies teilweise anders gelagert.

Ende vergangenen Jahres feierte der HSV City Store sein zehnjähriges Jubiläum. Wie wichtig sind solche stationären Shops, in denen man die Artikel anfassen kann?

Timo Kraus: Der stationäre Handel ist für uns nicht mehr wegzudenken und mittlerweile wirtschaftliche Notwendigkeit. Wir haben zurzeit drei Shops, die wir mit zehn festen Mitarbeitern und zahlreichen weiteren Aushilfskräften betreiben, und denken eher daran, weiter zu expandieren als etwas zu reduzieren. Für die Fans ist es ein Unterschied, ob sie die Produkte direkt beim Verein oder bei einem Händler kaufen können.

In vielen anderen Bereichen achten Kunden beim Kauf ihrer Artikel verstärkt auf die Themen Umweltfreundlichkeit, sozial verträgliche Arbeitsbedingungen und gesundheitliche Unbedenklichkeit. Gilt das auch für Fußballfans?

Timo Kraus: Die angesprochenen Themen finden bei uns im Verein nicht nur im Merchandising besondere Beachtung – ein Beispiel ist unser Stadion-Namensgeber Imtech. Folglich spielen sie auch bei der Produktauswahl eine große Rolle. Wir setzen mit unseren Partnern verstärkt auf erneuerbare Energien und briefen unsere Lieferanten, dass die Produkte nach sozial verträglichen Gesichtspunkten und unter Einhaltung aller gesetzlichen Bestimmungen produziert werden müssen. Es ist Grundsatzphilosophie unseres Hauses, dabei mit deutschen Unternehmen zusammenzuarbeiten und keine Direktimporte zu betreiben.

Einmal im Jahr veranstalten Sie die Merchandising-Messe in den VIP-Räumlichkeiten der Imtech Arena. Wie kam es zu der Initiative?

Timo Kraus: Die Idee wurde aus England transportiert, wo es eine vergleichbare Messe bereits seit längerem gibt. Wir hatten – wie viele andere Fußball- und Sportvereine – das Problem, dass man durch die ganze Nation reisen musste, um die vielen interessanten Produkte, die Lieferanten anbieten, sichten zu können. Da bot es sich an, dass sich alle an einem Ort treffen. Die Messe feierte dieses Jahr ihr zehnjähriges Jubiläum und hat sich stetig etabliert. Wir sind auf Ausstellerseite ausverkauft und steigern auch die Besucherzahlen jedes Jahr ein kleines bisschen, wobei wir mittlerweile neben Vertretern von Sportvereinen und -verbänden auch Industriekunden begrüßen können.

Sie haben die Bedeutung der Fußball-WM 2006 für den Fanartikelverkauf beschrieben. Hat die Ausrichtung der WM nicht auch das Interesse am Fußball allgemein sehr stark beeinflusst und damit auch Auswirkungen auf das Bild und die Zusammensetzung der Fangemeinde?

Timo Kraus: In jedem Fall ist die Fangemeinde enorm gewachsen. Zu meiner Anfangszeit hatten wir etwa 12.000 Mitglieder, heute sind es über 70.000. Natürlich gibt es darunter neben einem großen Anteil an Fans, die dem Verein auch in sportlich schlechten Zeiten die Treue halten, auch viele Fans, die den Eventcharakter genießen und vor allem dann kommen, wenn es gerade gut läuft. Aber das ist in allen Vereinen so. Deutlich gestiegen ist der Anteil der Frauen und Familien. Wir tragen dem z.B. durch einen eigenen Familienblock im Stadion mit einem besonderen Preisangebot Rechnung. Hier sieht man viele Kinder, und selbstverständlich ist die Fankultur dort eine ganz andere als im Stehplatzbereich. Der HSV ist ein sehr großer Verein mit einer entsprechend großen Fangemeinde, die sich aus allen sozialen Schichten und Altersstufen zusammensetzt.

Spiegelt sich die Heterogenität der Fangruppen im Fanartikelsortiment wider?

Timo Kraus: Wir bieten schon relativ lange in unserem Katalog verschiedene Fanwelten an, in denen wir mit entsprechenden Kollektionen die unterschiedlichen Zielgruppen gemäß ihrer jeweiligen Bedürfnisse ansprechen.

Was sind – zielgruppenübergreifend – die Topseller im Sortiment?

Timo Kraus: Das Top-Produkt, das Kernstück gewissermaßen, ist immer noch das Trikot. Trikots zeigen die Sympathie, stehen für Identifikation und sind für den Stadionbesuch fast unerlässlich. Der Trikotverkauf vereinigt etwa 10 bis 15 Prozent des Merchandisingumsatzes auf sich. Auch die anderen klassischen Stadionartikel wie Cap, Schal oder Fahne sind Highlights. Wir haben zudem das Thema Autozubehör als weiteren großen Markt registriert. Sowie den Bereich Freizeitkleidung: Hier geht es darum, Textilien in hoher Qualität anzubieten, die modischen Ansprüchen gerecht werden und bei denen die Aussage eher dezent ist, die Raute z.B. – gemäß hamburgischem Understatement – eher klein angebracht wird. In diesem Feld sehen wir weiteres Wachstumspotenzial.

Bayern München verzichtet im Merchandising auf Kondome und Särge. Gibt es ähnliche No-Gos beim Hamburger SV?

Timo Kraus: Das definiert jeder Verein für sich: Toilettenpapier käme für uns z.B. nicht in Frage. Generell wird bei allen Produkten überlegt, ob sie in das Bild passen, das wir darstellen wollen. Z.B. haben wir im Sinne eines fairen Wettbewerbs das Credo, uns nicht negativ gegenüber anderen Vereinen äußern zu wollen. Wenn solche Produkte im Umlauf sind, dann von nicht-offiziellen Anbietern. Natürlich schauen wir auch bei Markenrechtsverletzungen sehr genau hin und bekommen hier auch von den Fans, die diesbezüglich sehr aktiv sind, oft Meldung.

Eines der Topthemen derzeit ist die stärkere Einbindung von Fans in Entscheidungsprozesse des Vereins. Ist das auch beim Merchandising – z.B. bei der Produktentwicklung – ein Thema?

Timo Kraus: Aktuell gibt es das noch nicht, aber entsprechende Pläne liegen vor. Wir wollen die Fans stärker einbinden, indem wir sie z.B. über einzelne Artikel unserer Kollektionen abstimmen lassen oder Designwettbewerbe veranstalten, bei denen Fans eigene Entwürfe kreieren können.

Viele traditionsbewusste Fußballfans artikulieren häufiger ihren Unmut über die Kommerzialisierung des Sports. Ist das ein Problem fürs Merchandising des Clubs?

Timo Kraus: Zum Teil kann man diese Haltung verstehen, und es wird solche Stimmen immer geben. Auf der anderen Seite wollen die Fans tolle Stadien mit einem entsprechenden Komfort, hervorragende Spieler und das Erreichen des  internationalen Wettbewerbs. Und das kann man nur mit einem gewissen finanziellen Rahmen erreichen, zu dem eben auch das Merchandising gehört.

// Mit Timo Kraus sprach Dr. Mischa Delbrouck.

 

 

 

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