Pharma1 - Neue Zielgruppen und Kommunikationskanäle

Die Strukturreformen im Gesundheitsbereich haben die Pharmahersteller vor neue Herausforderungen gestellt. Vor allem für die nicht verschreibungspflichtigen Medikamente musste das Marketing neu ausgerichtet werden.

Das Jahr 2004 war eine Zäsur für die Pharmabranche: Damals wurde gesetzlich festgelegt, dass die Krankenkassen in der Regel die Kosten für nicht verschreibungspflichtige Medikamente nicht mehr übernehmen. Der Markt für diese sogenannten OTC-Präparate (over the counter: über die Ladentheke, also ohne Rezept verkäuflich) brach daraufhin zusammen. Die Bundesbürger mussten sich erst einmal an den Gedanken gewöhnen, für ihre Gesundheit selbst in die Tasche greifen zu müssen. Mittlerweile signalisieren die Zahlen eine kontinuierliche Aufwärtsentwicklung: Für 2012 konstatierte eine Studie des Marktforschungsunternehmens Nielsen einen Gesamtumsatz von 8,21 Mrd. Euro bei den frei verkäuflichen Arznei- und Gesundheitsmitteln.

Unterstützung der Apotheken

Das ist ein Erfolg, den die Pharmaunternehmen vor allem ihrer Neudefinition von Zielgruppen und Kommunikationskanälen für OTC-Produkte verdanken. War früher der Arzt der bevorzugte Adressat der Unternehmenskommunikation, sind das inzwischen die Apotheker und Patienten. Da heute viele Verbraucher beispielsweise bei Erkältungskrankheiten sich den zeitraubenden Umweg über die Arztpraxis sparen und lieber gleich in die Apotheke gehen, sind deren Mitarbeiter zu einer wichtigen Vermittlungsinstanz geworden. Um ihre Präsenz vor Ort zu stärken, entschließen sich viele Pharmafirmen zu umsatzfördernden Maßnahmen für Apotheken. Doch gelten auch hier Einschränkungen: Giveaways dürfen nicht teurer als fünf Euro sein und ihre Vergabe nicht an den Kauf eines Produktes gebunden. Aber der Apotheker kann sie seinerseits als ein Mittel der Kundenbindung einsetzen, und das immerhin stärkt auch die Geschäftsbeziehung zum Pharmahersteller. Um die Apothekenkunden zu erreichen, ist jedoch Kreativität gefragt.
„Apotheken werden überschüttet mit verkaufsunterstützenden Flyern von Pharmafirmen“, meint Christian Höfling, Prokurist von werbemax GmbH, einer süddeutschen Werbeartikelagentur. „Wir wollten mit unserem Kunden EurimPharm eine Aktion entwerfen, die zum Mitmachen bewegt. Geplant war ein originelles Gewinnspiel, das den Apotheken ein Vertriebstool bietet.“ Kreiert wurde ein Werbeartikel, der mit dem Promotional Gift Award 2013 ausgezeichnet wurde: eine Modelliermasse von Staedtler in den Unternehmensfarben von EurimPharm, aus denen die Gewinnspielteilnehmer das EurimSmile – das Key Visual der Marke – kneten sollten. Unter den Fotos dieser kleinen Kunstwerke wurde schließlich der Gewinner ermittelt und mit einem Wochenende im Europapark Rust belohnt. Gefertigt in einer Auflage von 50.000 Stück, wurde das Bastelpaket rund 7.000 Apotheken angeboten, von denen jedoch nur die ersten 1.500 Anmeldungen berücksichtigt werden konnten. Innerhalb von zwei Wochen waren alle POS-Pakete abgerufen. „Dieses Giveaway richtete sich zwar zunächst an Kinder, aber es waren auch andere Familienmitglieder eingebunden, weil beispielsweise die Modelliermasse im Backofen gehärtet werden musste“, erläutert Höfling. „Es war also ein Spaß für die ganze Familie. Und da es sich um ein selbstgebasteltes EurimSmile handelt, kann man auch davon ausgehen, dass es als Erinnerungsstück aufbewahrt wird.“ Und Stephanie Pielsticker, Marketing EurimPharm, zieht ein klares Fazit: „Wir sind mit dem Erfolg dieser Aktion sehr zufrieden. Wir haben alles erreicht, was wir wollten.“
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Markenbildung

Der Wandel vom Patienten zum Verbraucher bedeutet die Ablösung ärztlicher Autorität durch eine marktgerechte Kundenansprache. Um sich ihre Wettbewerbsfähigkeit zu sichern, müssen sich OTC-Hersteller und ihre Produkte als Marken etablieren. Bloße Leistungsversprechen reichen nicht aus, um sich nachdrücklich von der Konkurrenz abzugrenzen. Gerade im Gesundheitsbereich ist Vertrauen ein Schlüsselbegriff. Eine emotionale Bindung an die Marke, ihre Identifikation als etwas Vertrautes und Bewährtes, ist eine wichtige Voraussetzung, um eine gezielte Nachfrage durch die Verbraucher zu wecken.
Ein erfolgreiches Beispiel solcher Markenbildung ist der Erkältungsbalsam Transpulmin, den es auch in einer speziell für Kinder geeigneten Version gibt. Medapharm, Produzent von Transpulmin, stellt den Apotheken Pixi-Bücher zur Verfügung, die sie an ihre kleinen Kunden verteilen können. Die Hauptperson dieser illustrierten Kindererzählungen ist der Kater Franz Pulmin – eine phonetische Ähnlichkeit zu dem Namen des Hustenbalsams ist nicht zu leugnen, der selber aber, rechtlich korrekt, nicht ein einziges Mal in den Büchern auftaucht. Der Kater ist grün-gelb gestreift, was ihm nicht nur ein verwegenes Aussehen gibt, sondern auch den Produktfarben entspricht – eine Übereinstimmung, die man wahrnehmen kann, aber nicht muss.
Dass Kinder, die wegen Krankheit ins Bett gesteckt werden, gerne lesen, ist ein kluger Anknüpfungspunkt für Marketingmaßnahmen. Franz Pulmin und seine Kameraden verwandeln die eher langweiligen Aspekte des Krankseins in kindgerecht lustige und aufregende Abenteuer. Und so hat sich der Kater eine stattliche Fangemeinde erworben: Gebrauchte Exemplare seiner Geschichten werden regelmäßig im Internet gesucht. Auch Apothekern kommt solche Anhänglichkeit zugute, denn Mütter, die Lektürenachschub für ihre Kleinen brauchen, werden schnell zu treuen Kundinnen.

Sinnliche Erfahrbarkeit

Die Umsetzung von Produkteigenschaften in sinnliche Erfahrbarkeit war das Leitmotiv einer Werbekampagne für die unter dermatologischen Gesichtspunkten entwickelte Hautpflegeserie Imlan, die exklusiv über Apotheken vertrieben wird. Das Basis-Produkt – Imlan Creme Pur – besteht nur aus Wasser, Jojobaöl und Betulin, einem entzündungshemmenden und juckreizlindernden Wirkstoff, und ist deshalb für Allergiker und Personen mit anderen Hautirritationen besonders geeignet. Betulin wird aus dem Weißen der Birkenrinde gewonnen. Um die Natürlichkeit und besondere Wirkungsweise dieser Hautpflegemittel zu betonen, wurde einem Mailing, das an 350 Journalisten verschickt wurde, ein Stück echter Birkenrinde beigefügt. „Es ist überliefert, dass bei Naturvölkern in Nordamerika und Sibirien ein Stück Birkenrinde als eine Art Pflaster auf Wunden gelegt wurde“, erläutert Ingo Meyer-Berhorn, geschäftsführender Gesellschafter von BrandPepper, der auf Markenstrategie spezialisierten Werbeagentur, die die Kampagne entwarf. „Wir wollten an den Produktursprung erinnern, aber auch Natur ästhetisch wirken lassen: Die Birkenrinde hatte einen skulpturalen Effekt. Das Logo wurde dezent buchstäblich ‚gebrandet‘.“ Das Mailing war ein Teaser, der Aufmerksamkeit schaffen sollte für die nachfolgenden PR-Artikel. „Diese Aktion war insgesamt sehr erfolgreich. Es gab zahlreiche Veröffentlichungen in Frauenzeitschriften und anderen Zeitungen mit einem Schwerpunkt auf medizinische Berichterstattung“, so Meyer-Berhorn.
Auch bei einem zweiten Werbeartikel stand das Symbol der Birke im Vordergrund. In Apotheken wurde Kundinnen ein zweiteiliger Hauttest angeboten. Zunächst konnten sie den Trockenheitsgrad ihrer Haut bestimmen lassen und anschließend die Wirkung der Imlan-Produkte prüfen. Als Gratifikation für ihre Teilnahme erhielten sie eine Tasse aus der Touch-Serie von Kahla. Mit einer Auflage von 20.000 Stück wurde sie in etwa 850 Apotheken eingesetzt. Gemäß den Produktfarben war auf weißem Untergrund die Struktur von Birkenrinde aus dunkelblauem samtähnlichen Material gelasert worden. „Wieder ging es uns darum, den visuellen Eindruck durch den haptischen zu ergänzen“, meint Meyer-Berhorn. „Der samtartige Textilbezug erinnert an sehr weiche Haut, also an die Wirkung von Imlan.“ Auch hier wurde das Logo sehr zurückhaltend angebracht. „Durch die längere Testphase hatten die Verbraucherinnen eine ausgeprägte Erinnerung an die Marke Imlan“, so Meyer-Berhorn. „Aber es entspricht ohnehin unserer Erfahrung, dass die Nutzungsakzeptanz eines Werbeartikels durch die Dezenz der werblichen Aussage steigt. Die Werbebotschaft wirkt mehr, wenn sie in den Hintergrund tritt und der Ästhetik Raum lässt.“ // Irene Unglaube

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