Wer nachhaltig und wirksam kommunizieren will, sollte haptisch sprechen – so das Credo von Alfred König, Chef der Kommunikations- und Produktionsagentur König Konzept. Die Sprache der Haptik ist dabei weit mehr als bloße Oberflächenpolitur. Alfred König über die Doppelbotschaft von Bio-Äpfeln, digitale Streicheleinheiten und kratzende Kugelschreiber.

hapaward - „Haptik ist kein Effekt, sondern Inhalt“

Herr König, im vergangenen Jahr hat das Fachmagazin Paperazzo erstmalig den Haptik Award ausgelobt, der die haptische Dimension von Papierprodukten wie Grußkarten, Verpackungen und Mailings auszeichnet. Von Ihnen stammt das Konzept des Awards, und Ihnen oblag auch der Juryvorsitz. Waren Sie mit den eingereichten Produkten zufrieden?

Alfred König: Es gab zahlreiche interessante Einsendungen, die gezeigt haben, wie sich Printprodukte über den gezielten Einsatz von haptischen Elementen einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Medien verschaffen können. Viele Teilnehmer haben den Haptik Award aber auch als Veredelungspreis missverstanden: Papier, ein bisschen Drucklack drauf und fertig.

Worum geht es Ihnen stattdessen?

Alfred König: Bei dem Wettbewerb zeichnen wir Kreationen aus, an deren Anfang eine Kommunikationsaufgabe steht, die dann anders als sonst üblich, nicht nur über Bild, Wort und Ton, sondern auch über die Haptik kommuniziert wird. Es geht also um die Übersetzung einer Botschaft in spezifische Berührungssignale. Wer sich ausschließlich unter dem technischen Aspekt mit Haptik beschäftigt, greift zu kurz. Haptik ist kein Effekt, sondern Inhalt.
Ein Beispiel: Wenn ich eine Broschüre mit Eislack veredele, um Frost zu imitieren, dann muss sich der Lack auch kalt anfühlen, ansonsten habe ich meine Kommunikationsbotschaft verfehlt.

Wie haben Sie sich bei der Jurierung dem Thema Haptik genähert?

Alfred König: Zunächst einmal haben wir alle Produkte hapaward2 - „Haptik ist kein Effekt, sondern Inhalt“
„blindverkostet“ und unsere jeweiligen Assoziationen dazu aufgeschrieben. In einem zweiten Durchgang wurde das Prozedere dann ohne Augenbinde wiederholt. Dabei kamen wir oft zu dem Ergebnis, dass die haptische und die visuelle Botschaft nicht kongruent sind.
Das ist eine Erfahrung, die ich auch in meinen Seminaren immer wieder mache. Wenn man z.B. Imagebroschüren von Unternehmen vergleicht, die zwar aus der gleichen Branche kommen, aber ganz unterschiedlich aufgestellt sind, dann findet man diese Differenzierung in der Haptik nur selten wieder. So wird zum einen die Chance verpasst, auf diesem eindrucksvollen Kanal die richtige Botschaft zu senden. Zum anderen besteht das Risiko, dass eine etwaige haptische Botschaft von Minderwertigkeit auf das hochwertige Produkt „abfärbt“.

Ist Haptik eine Frage des Geldes, in erster Linie für Premiumprodukte relevant?

Alfred König: Das muss nicht zwingend so sein. Wenn die visuelle Vorinformation fehlt, ist es für die meisten Menschen sogar schwierig, einen preiswerten Plastikartikel, bei dem die Oberfläche ein wenig verändert wurde, von einem hochwertigen Produkt aus Edelholz zu unterscheiden.

Dass die visuelle Vorinformation fehlt, dürfte allerdings eher die Ausnahme sein …

Alfred König: Deshalb muss man unbedingt eine Kommunikation aufsetzen, die die Sinne kongruent anspricht. Bei den ersten Öko-Lebensmitteln in den 1980er Jahren war genau das ein großes Problem: Der Bio-Apfel schmeckte zwar frisch, sah aber leider nicht danach aus. Solche abweichenden Botschaften sind für den Erfolg kontraproduktiv, denn Inkongruenz führt in der Regel zu einer Abwertung der Produkte.

Die Haptik ist ein Pfund, mit dem Werbeartikel von Haus aus wuchern können. Inwieweit kann dies ein entscheidender Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Marketingtools sein?

Alfred König: Wenn die verschiedenen Sinne kongruent kommuniziert werden, dann unterstützt das in erheblichem Maße die Gedächtnisleistung. Wird eine Botschaft nicht nur visuell, sondern auch haptisch übermittelt, dann erhöht sich die Erinnerungsleistung sowohl im Kurzzeitgedächtnis als auch im Langzeitgedächtnis um ein Vielfaches.
Werbeartikel wie z.B. haptische Verkaufshilfen sind dazu prädestiniert, eine Art kinästhetischen Anker zu setzen, der beim Griff zum Produkt auch nach dem Verkaufsgespräch oder der Präsentation an die Botschaft erinnert – ähnlich wie beim Pawlow‘schen Hund.

Welche Erfahrung haben Sie persönlich mit Werbeartikeln gemacht?

Alfred König: Ich wundere mich immer wieder, wie viele schlechte Schreibgeräte man überreicht bekommt. Gerade Kugelschreiberminen kratzen oft über das Papier. So etwas löst bei mir haptisch induzierten Ärger aus, der sich natürlich auch auf das Unternehmen überträgt. Es reicht nicht, sich nur den offensichtlichen ergonomischen Fragestellungen zu widmen. Man muss auch die Details im Blick haben und was diese im feineren Sensorium des Nutzers auslösen.

Was kann eine haptische Kommunikation im besten Falle leisten? Oder anders gefragt: Können sich Unternehmen leisten, diese zu vernachlässigen?

Alfred König: Untersuchungen im Versandhandel zeigen es deutlich: Je unangenehmer die Haptik eines Produkts empfunden wird, umso höher ist die Rücksendequote. Und je körpernäher das Produkt ist, desto stärker ist dieser Effekt. Das klingt trivial, ist aber evidenzbasiert. Dennoch sind diese Erkenntnisse in vielen Unternehmen noch nicht angekommen. Während es im Textilmarkt relativ klar ist, dass man z.B. keine Unterwäsche produziert, die kratzt, zeigen sich die meisten Marketer für die haptischen Reize ihrer Produkte leider noch immer relativ unempfindlich. Doch in dem Maße, in dem die Märkte enger und die Kunden übersättigter werden, wird sich auch die haptische Kommunikation stärker durchsetzen.

Gleichzeitig nimmt die Bedeutung der digitalen Welt zu. Wird die Bedeutung von haptischen Elementen dadurch nicht eher zurückgedrängt?

Alfred König: Im Gegenteil. Ich bin davon überzeugt, dass ein Unternehmen wie Apple verstanden hat, dass es seine Produkte haptisch kommunizieren lassen muss. Frühere Telekommunikationsgeräte mussten mit dem spitzen Finger bedient werden. Das war eine wenig lustvolle Angelegenheit. Im nächsten Schritt gab es dann Eingabestifte, die jedoch zu einer stärken Produktentfremdung führten. Und schließlich kam Apple mit dem Touchscreen heraus. Dieses vollkommen neue Bedienungskonzept hat dazu geführt, dass die User ihr iPhone im Prinzip streicheln und so fast schon eine libidinöse Beziehung dazu aufbauen. So wurde sehr klug haptisches Sehnsuchtspotenzial aufgegriffen.

Über Bilder und Texte kann man sehr differenziert kommunizieren. Wie steht es hier um die haptische Kommunikation?

Alfred König: Einige Dinge sind natürlich universell. Will man z.B. Hochwertigkeit vermitteln, wird man in der Regel auf Gewicht setzen. Manchmal springt man damit aber auch zu kurz. So wird die Wertigkeit bei einem Produkt wie einer Rodenstock Brille aus Titan gerade durch ihre Leichtigkeit bestimmt. Wenn dann noch andere Werte vermittelt werden sollen, die u.U. im Widerspruch zueinander stehen können, landet man schnell bei einer sehr komplexen Kommunikationsaufgabe.

Ist man dann bei dem von Ihnen verwendeten Begriff „Corporate Haptics“?

Alfred König: An diesem Punkt beginnt es. Ähnlich wie bei einem visuellen Markenauftritt wird auch ein haptisches Profil erarbeitet und umgesetzt, an dessen Ende eine unverwechselbare Unternehmenshaptik steht. Dazu ist es wichtig, vorab zu klären, auf welcher Ebene die Kommunikationsbotschaft liegen soll.
Dazu ein Beispiel: Im Automobilbereich gibt es den Begriff der Überholkompetenz. Das heißt: Wenn ich auf der Autobahn ganz links fahre, dann gehe ich bei einem auffahrenden Ferrari viel schneller zur Seite als bei einem Golf GTI. Das liegt u.a. daran, dass der Ferrari schon visuell Aggressivität ausstrahlt. Für das Produkt ist das eine erstrebenswerte Zuschreibung, für die Marke Ferrari wäre das nicht ganz so vorteilhaft. Solche Überlegungen muss man – gerade bei der haptischen Kommunikation – immer sehr differenziert betrachten, damit der Schuss am Ende nicht nach hinten losgeht.

// Mit Alfred König sprach Andrea Bothe.

www.koenig-konzept.eu

 

 

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