Jürgen Wieser steckt Menschen in den Gehirnscanner und untersucht, welche Emotionen sie antreiben und was ihr Belohnungszentrum aktiviert. So kann er Aussagen zur Wirkung von Produkten machen – darunter auch Werbeartikel. Der Coach für limbische Unternehmensführung über die richtige Präsentation von Regenschirmen, langweilige Powerpoint-Präsentationen und hochprozentige Geschichten, die sich im Gehirn verankern.

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Wie nützlich ist der Einsatz von Hirnscannern für den Bereich des Marketings?

Jürgen Wieser: Untersuchungen mit dem Hirnscanner ersetzen nicht die klassische Marktforschung, sondern ergänzen sie. Der Erfolg der Ergebnisse, die sich durch die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) – wie es umständlich, aber korrekt heißt – erzielen lassen, hängt entscheidend von einer eindeutigen, scharf umrissenen Fragestellung ab. Das heißt die Reaktionen der Probanden müssen möglichst klar und zuverlässig den sie auslösenden Reizen zuzuordnen sein. Man muss also versuchen, eine Mehrdeutigkeit der neuronalen Aktivitäten auszuschließen. Je interpretationsbedürftiger das Ergebnis, desto größer ist die Gefahr einer Fehldeutung. Gelingt es aber, solche Unsicherheiten durch eine konsequente Aufgabenstellung zu vermeiden, ist die fMRT der Königsweg für das Marketing.

Worin liegt ihre Bedeutung?

Jürgen Wieser: Durch die fMRT haben wir Zugang zu unbewussten Prozessen. Wenn man auf die Befragung von Testpersonen angewiesen ist, erhält man meist Aussagen, die bereits gefiltert sind und kein „unverfälschtes Bild“ mehr ermöglichen. Durch die Beobachtung von neuronalen Vorgängen können wir jedoch unmittelbare Reaktionen feststellen. Das ist außerordentlich aufschlussreich, denn der allererste Eindruck hält sehr lange an – und er entsteht in Bruchteilen von Sekunden.
Das Limbische System ist der Teil unseres Gehirns, der für die Entstehung von Emotionen zuständig ist. Eines seiner Kernbereiche ist die Amygdala (Mandelkern), die bereits in 300 bis 600 Millisekunden die Vertrauenswürdigkeit eines Menschen oder die emotionale Relevanz eines Gegenstandes überprüft. In dieser winzigen Zeitspanne entscheiden wir über Sympathie und Antipathie. Eine wichtige Rolle spielt auch das Belohnungszentrum, das umso stärker aktiviert wird, je attraktiver wir etwas finden. Die Auswertung und Ableitung neuronaler Aktivitäten lassen sich daher sehr gut zur Vorhersage der Produktwirkung einsetzen.

Haben Sie auch schon mal die Wirkung von Werbeartikeln mit Hilfe des Hirnscanners analysiert?

Jürgen Wieser: Ja, wir haben bei der Werbewies’n München die Reaktionen auf drei verschiedene Werbeartikel präsentiert: einen Knirps, eine solarbetriebene Ladestation für Handys und eine Salatschüssel. Diese Produkte wurden den Probanden in jeweils zwei verschiedenen Varianten gezeigt. So wurde der Knirps in geschlossenem und in geöffnetem Zustand präsentiert. Das Bild des aufgespannten Schirms hat das Belohnungszentrum deutlich höher aktiviert, weil wir uns so besser vorstellen können, dass der Schirm uns beschützt.

Die Präsentation eines Produktes sollte also die Wahrnehmung seiner Funktion unterstützen?

Jürgen Wieser: Ja, wir können generell beobachten, dass die Reaktionen umso stärker und positiver sind, je mehr die Darstellung eines Produktes der Echtzeit, der Lebensrealität entspricht. In der Regel aktiviert ein Kontext stärker als eine isolierte Abbildung. Das zeigte das zweite Beispiel: Die solarbetriebene Ladestation wurde den Probanden einmal allein gezeigt und dann umgeben von Sonnenblumenkernen. Auf die zweite Version wurde intensiver reagiert. Eine wichtige Aufgabe des Kontextes besteht darin, dem Gehirn z. B. die Objektverarbeitung zu erleichtern, d. h. ihm zu helfen, einen Gegenstand schneller zu erkennen und emotional aufzuladen. Der Zusammenhang, in dem ein Produkt eingebettet wird, kann als Emotionstreiber genutzt werden. pflanze - Haptische Werbung  fördert Vertrautheit und VertrauenDie Sonnenblume, um erst mal bei diesem Beispiel zu bleiben, ist ein Symbol für Sonnenenergie, und echte, also natürliche Sonnenblumenkerne betonen die Natürlichkeit dieser Art von Energiegewinnung. Der Kontext sollte die Wahrnehmung relevanter Produkteigenschaften verstärken. Zu viele Bildelemente können aber auch zu einer kognitiven Überlastung führen. Das dritte Beispiel der Salatschüssel zeigt Fehler, die man bei der Kontextgestaltung machen kann.

Worin bestanden diese Fehler?

Jürgen Wieser: Wir hatten die Salatschüssel auf einem Terrassentisch in einem Arrangement gezeigt, das normalerweise die Betrachter hätte stärker ansprechen müssen als die isolierte Abbildung. Aber während die Salatschüssel und der Tisch überwiegend in Weiß gehalten sind, ragt von der Seite her ein Sonnenschirm in knalligem Pink ins Bild, der Aufmerksamkeit in einer Art Vampireffekt absorbiert. Der Kontext darf nur begleiten und unterstützen, aber niemals dominieren. Kommt es zu Irritationen, schwächen sich in den Belohnungsregionen des Gehirns die Effekte ab.

Unser Gehirn belohnt es also, wenn ihm Arbeit erspart wird?

Jürgen Wieser: Das Gehirn reagiert mit höherer Aktivierung der Belohnungsareale, wenn wir Vertrautes erkennen, weil es dann weniger Energie und bewusste Denkarbeit für den Wahrnehmungsvorgang aufbringen muss. In manchen Situationen kann das aber auch das falsche Signal sein. Entgegen hartnäckiger Vorurteile wäre es besser, bei Powerpoint-Präsentationen auf eine Gliederung in einzelne Punkte zu verzichten. Eine solche durchgehende Strukturierung lässt das Belohnungszentrum in der Regel zusammenbrechen, weil sich dann das Gehirn sehr schnell langweilt. Das ist etwa so, als würde man einem Kinobesucher beim Eintritt das Drehbuch erzählen. Ebenso schadet es der Konzentration des Zuhörers, wenn sich auf den Powerpoint-Folien auf jeder Seite das Logo und das oft visuell überladene Design der Masterfolie wiederholen. Im Gehirn wird das als „Kenne ich schon“ registriert, und die Aufmerksamkeit für das Wichtige sinkt. Für die gedruckte Fassung gelten aber andere Erfordernisse, und deshalb sollte man nicht die Powerpointfolien eins zu eins als Handout-Blätter den Zuhörern mit nach Hause geben.

Wie beurteilen Sie das Wirkungspotenzial haptischer Werbung?

Jürgen Wieser: Da die Produkte immer austauschbarer werden, reichen z. B. Leistungsbeschreibungen nicht mehr aus, um ihnen einen USP zu sichern. Haptische Werbung ist ein guter Weg, um eine persönliche Beziehung zu den Konsumenten aufzubauen und in ihrem Bewusstsein die Marke als etwas ganz Besonderes zu verankern. Wichtig ist vor allem, dass durch die häufige Benutzung des Werbeartikels beim Benutzer Vertrautheit und Vertrauen entstehen. Wir schalten in einen anderen Empfangsmodus, wenn Vertrauen gegeben ist und unser Langzeitspeicher wird dadurch leichter aktiviert – d. h. die Werbebotschaft wird intensiver wahrgenommen und länger erinnert. Aber auch hier ist der Kontext wichtig: Die Wirkung eines Werbeartikels hängt z. B. auch von der Art seiner Übergabe ab.

Was ist dabei zu beachten?

Jürgen Wieser: Wichtig ist die Einbettung des Werbeartikels in ein inspirierendes Umfeld, das die Vorstellungen des Empfängers anregt – z. B. indem mit dem Werbeartikel eine Geschichte erzählt wird. Ich bin Präsident von Down-Syndrom Österreich, und ich schenke Personen, die uns in unserer Arbeit unterstützen, gern einen Schnaps, der aus Äpfeln gebrannt wird, die aus dem Garten unserer Vereinskassiererin stammen. Wenn ich den Schnaps verschenke, erzähle ich von seiner Herkunft, und durch diese ganz persönliche Geschichte wird das Geschenk mit Wertigkeit aufgeladen. Im Fundraising steigert es die Spendenbereitschaft, wenn ein persönlicher und emotionaler Bezug zu denen hergestellt wird, für die gespendet werden soll. Es gibt im Gehirn ein Areal, das für die Verarbeitung von Geschichten zuständig ist, und es stärkt die emotionale Relevanz und längerfristige Verankerung einer Wahrnehmung, wenn dieses Areal aktiviert wird. Für das Gehirn macht es keinen großen Unterschied, ob etwas wirklich stattgefunden hat oder nur projiziert wurde. In beiden Fällen werden neuronal sehr ähnliche Hirnstrukturen angeregt. Spiegelneuronen sorgen dafür, dass das Gehirn beim Vorstellen die neuronalen Aktivitäten nachbaut, die entstehen würden, wenn wir das Vorgestellte selbst erleben würden. Deshalb ist es wichtig, mit einem Werbeartikel mehr als nur ein Produkt zu übergeben. Es sind Assoziationen und Vorstellungen, die ihm eine Wertigkeit vermitteln, die nicht materiell begründet ist.

www.limbio-business.at

// Mit Jürgen Wieser sprach Irene Unglaube

 

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