Es ist nur konsequent, wenn aus einem Re- ein Upcycling wird. Das Bewusstsein für Nachhaltigkeit sensibilisiert nicht nur für ökologische und soziale Belange, sondern verändert auch den ästhetischen Blick auf Materialien, die früher für den Abfall bestimmt waren.

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Wer sich zu Beginn der 1980er Jahre umweltbewusst kleiden oder einrichten wollte, brauchte nicht selten Mut zur Hässlichkeit. Das Plädoyer für Jutetaschen war einleuchtend, aber mit modischen Ansprüchen nicht so recht vereinbar. Doch die ökologische Trendwende erfasste auch die Designer, und inzwischen muss man seinen Geschmack nicht mehr dem Gewissen opfern.

Dieser Bewusstseinswandel ist eine Geschichte von Überfluss und Überdruss. Die Wohlstandsgesellschaft, in der Unmengen produziert und weggeworfen werden, entwertet die Lust am Besitz, wenn das, was man heute kauft, schon morgen auf dem Müll landet. In den letzten Jahrzehnten ist nicht nur das ökologische Verantwortungsbewusstsein gewachsen – auch die ästhetischen Maßstäbe haben sich verändert. Der Widerwille gegen austauschbare Massenware weckt die Faszination für das, was früher als Abfall geringgeschätzt wurde. Gebrauchte Materialien besitzen gerade durch die Spuren ihrer Abnutzung Einzigartigkeit und Authentizität.

Urbaner Stil

„Upcycling ist vor allem ein urbanes Phänomen“, konstatiert Boris Plücken, Leiter Öffentlichkeitsarbeit des Berliner Upcyclingunternehmens Fahrer. „Wir haben zwar auch Kunden aus ländlicheren Regionen, aber in der Regel gilt: Je größer die Stadt, desto größer auch die Nachfrage.“ Der typische Käufer von Upcycling-Produkten entstammt der gehobenen, akademisch gebildeten Mittelschicht und ist zwischen 35 und 55 Jahre alt. Und es sind viele Familien darunter, die schon die Sorge um die Zukunft ihrer Kinder veranlasst, das Thema Nachhaltigkeit ernst zu nehmen. „Diese Leute haben oft ein gutes Einkommen und überlegen genau, wofür sie ihr Geld ausgeben“, so Joachim Leffler, Geschäftsführer von Fahrer. „Sie interessieren sich dafür, wie Material eingesetzt und wo produziert wird.“

Ein Material, das die Berliner Designer besonders gern für ihre in Zusammenarbeit mit Behindertenwerkstätten hergestellten Produkte verwenden, sind LKW-Planen. „Durch die Verwitterung bekommen die Planen eine stoffliche Oberfläche und ein schönes Design“, erläutert Plücken. „Für die Innenseite von Taschen nehmen wir Bootsabdeckstoffe, weil sie wasserabweisend sind.“ Und Leffler ergänzt: „Unsere Designleistung besteht vor allem in der Auswahl besonders interessant gemusterter Planenteile. Ansonsten halten wir uns mit Eingriffen zurück: Das Material steht bei uns im Vordergrund. Sogar auf das Säumen können wir verzichten, weil es bei beschichteten Stoffen überflüssig ist.“

Für Unternehmen verarbeitet Fahrer ausrangierte Werbebanner beispielsweise zu personalisierten Schlüsselbändern, Taschen oder Hosenbändern. „Das Recycling der eigenen Werbematerialien ist ein klares Bekenntnis zu Umweltschutz und gesellschaftlichem Verantwortungsbewusstsein“, erläutert Leffler. Für Hosenbänder von Fahrer aus solchem Material hat sich die taz entschieden – mit der Aufforderung: Binden Sie sich ein Stück taz-Geschichte ans Bein. „Wir haben unsere Werbebanner oft nur zwei oder dreimal benutzt, und sie sind uns einfach zu schade zum Wegwerfen“, begründet es Susanne Knechten, die für Produktauswahl und Marketing des Online-Shops der taz zuständig ist. Die überregionale Berliner Tageszeitung, die sich genossenschaftlich finanziert und viele Leser hat, die zugleich Anteilseigner sind, hat durch die Unterstützung ihrer Anhängerschaft die Zeitungskrise besser überstanden als so manche der alteingesessenen Blätter. „Viele unserer Leser haben ein sehr emotionales Verhältnis zur taz“, erläutert Knechten, „und darum ist es für sie besonders reizvoll, ein echtes Stück taz zu besitzen.“ Schon vor Jahren waren Taschen aus Werbebannern ein großer Erfolg. „Besonders begehrt waren die, die aus einem Banner mit Graffiti hergestellt wurden. Das waren wirklich heiß umkämpfte Stücke“, so Knechten.

Markt der Zukunft

Upcycling ist ein Wachstumsmarkt, und die Beschaffung guten upcycelbaren Materials ist dadurch nicht gerade einfacher geworden. „Wir suchen sehr aktiv nach geeigneten Stoffen, beispielsweise bei Segelvereinen und Privatpersonen“, bemerkt Lars Kämmerer, Leiter PR/Marketing von Canvasco, die u.a. Taschen aus Segeltuch produzieren. „Als Schultergurte verwenden wir gern Lastengurte aus dem Bereich der Hafenlogistik. Solche alten, benutzten Stoffe wie Segeltuch oder Schweizer Militärdecken haben eine Patina, die man gar nicht künstlich herstellen kann.“

Die Hotelgruppe 25 hours setzt die Taschen von Canvasco seit sieben Jahren als Werbeartikel und in ihren hoteleigenen Boutiquen ein. „Zunächst sind uns die ökologischen und sozialen Aspekte wichtig. Es werden Ressourcen genutzt, die es schon gibt, und die Taschen werden von Frauen in Justizvollzugsanstalten gefertigt, die dadurch in ihrer Resozialisierung unterstützt werden. Mit dem Thema Nachhaltigkeit positionieren wir uns in einem Bereich mit Zukunft. Aber uns gefällt auch, dass das Upcycling Teil des Designkonzepts ist: Die Taschen haben einfach eine andere Optik und Haptik als Neuware. Sie erzählen eine Geschichte, und das passt zu unserem eigenen Ansatz des Storytellings“, meint Christoph Hoffmann, geschäftsführender Gesellschafter der Hotelgruppe. Und der Brandmanager Bruno Marti verweist auf weitere Vorteile der Markenkooperation: „Wir haben eine urbane, reisefreudige Zielgruppe, für die der Communitiy-Gedanke wichtig ist. Nachhaltigkeit und Authentizität sind für sie Identifikationsfaktoren, und die Canvasco-Taschen vermitteln ihnen ein Gefühl der Zugehörigkeit zu der Gruppe Gleichgesinnter. Außerdem betonen wir mit dem maritimen Flair der Segeltuchstoffe den Hamburger Ursprung der 25 hours-Hotels.“

Markenprofilierung

Immer mehr Unternehmen entdecken Upcycling als eine Chance, ihre Marke zu profilieren. Die finnische Fluggesellschaft Finnair, die gegenüber europäischen Konkurrenten den geografischen Vorteil hat, ihren Passagieren kürzere Flugzeiten bei Reisen nach Asien bieten zu können, beschloss 2010, in diesen Markt stärker zu investieren. Zum Relaunch gehörte nicht nur eine modernisierte Innenausstattung der Langstreckenflieger, sondern auch neu designte Kleidung für das Personal. Außer Bordinventar wie Sitze und Vorhänge wurden allein 20.000 Uniformen ausrangiert, alles aus hochwertigem Material. „Eine neue Verwendung dafür zu finden, war eine Win-Win-Situation“, kommentiert Kati Ihamäki, Vice President Sustainable Development bei Finnair. Aber nicht nur wirtschaftliche Aspekte zählten bei der Entscheidung, das überflüssig Gewordene in Accessoires für Passagiere umarbeiten zu lassen: „Das, was Finnair durch nachhaltige Maßnahmen erreicht hat, ist in der Regel nicht so leicht wahrzunehmen. Aber durch diese upcycelten Produkte lässt sich das Engagement unmittelbar verdeutlichen“, erläutert Taru Aalto, COO des finnischen Designunternehmens Globe Hope, das von der Fluggesellschaft mit der Kreation einer Produktreihe beauftragt wurde und dafür den Werbeartikel-Kommunikationspreis Promotional Gift Award 2013 erhalten hat. Aus Uniformen wurden Geldbörsen, aus Stewardessen-Schals Schlafmasken und aus Sicherheitsgurten Reisenecessaires. Und alle wurden mit einem Anhänger versehen, der auf das Vorleben hinweist wie z. B.: „Vielleicht haben Sie mich auf Ihrem letzten Flug als Crew-Uniform gesehen. Ich bin in Rente gegangen, aber Globe Hope hat mir ein neues Leben als Ihre Geldbörse gegeben.“ „Die Aktion hat für viele positive Reaktionen bei unseren Geschäftspartnern und Kunden gesorgt“, resümiert Ihamäki. „Vor allem in Asien war das Interesse an Produkten zum Thema nachhaltiges Design groß. Auch unsere Angestellten waren begeistert.“

Neue Sichtweisen

„Wenn man Bücher nicht mehr lesen kann, kann man immerhin noch auf ihnen sitzen“, konstatiert Markus Feigl, bibliothekarischer Leiter der Büchereien Wien, die sich für ein ungewöhnliches Recycling entschieden.

„Da wir Wert auf ein aktuelles Bücherangebot legen, müssen wir aus Platzgründen Exemplare aussortieren. Normalerweise verschenken wir sie dann an karitative Organisationen, aber es bleibt doch immer ein Restbestand, z. B. an beschädigten Büchern, übrig, für die wir eine sinnvolle Verwendung suchten. Als wir die Bücherhocker von Gabarage sahen, waren wir sofort fasziniert.“ Für die Kreation von Hockern aus Büchern erhielt das Wiener Unternehmen Gabarage Upcycling Design, das auch alte Rolltreppen zu Sofas, Ampellichter zu Lampen und Bowlingkugeln zu Vasen verarbeitet, den Produktpreis des Wiener Museums für angewandte Kunst. „Es gibt ziemlich viele Leute, die Bücher haben, die sie nicht mehr lesen, für die es aber ein Sakrileg wäre, sie einfach in die Mülltonne zu werfen. Wir entwerfen daraus Gebrauchsgegenstände“, erläutert Daniel Strobel, Leiter Marketing und Produktmanagement von Gabarage. Die Bücher werden, gut sichtbar mit Titel und Einband, zu einem rechteckigen Korpus zusammengefügt, dessen Sitzfläche mit alten LKW-Planen bezogen wird. Für die dreißig Exemplare der Büchereien Wien wurde – passend zu den Farben ihres Logos – ein Planenbezug aus Orange und Blau gewählt. Gabarage beschäftigt auch ehemalige und akut Suchtkranke, um ihnen einen beruflichen Wiedereinstieg zu ermöglichen, und „dieser soziale Aspekt war für uns zusätzlich wichtig“, so Feigl. „Aber vor allem wollen wir mit unseren Bücherhockern unsere Besucher anregen, ihnen zeigen, dass es immer noch andere Möglichkeiten gibt. Das befreit zu neuen Sichtweisen.“

Für die Gestaltung von Giveaways bevorzugt Gabarage Produktabfall der werbenden Firmen. „So wird auch über die Materialität des Werbeartikels die Beziehung zum Unternehmen gestärkt“, führt Strobel aus. „Die Kunden kennen die Produkte, und sie können das, was sie bisher nur unter funktionalem Aspekt wahrgenommen haben, aus einer ästhetischen Perspektive erleben – und das führt oft zu einer ganz anderen Wertschätzung.“

 

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