Gute PR-Arbeit ist mehr als ein Gag, im besten Falle ist es Storytelling – bildgewaltig und emotional. Petra Sammer, Chief Creative Officer bei Ketchum Pleon, über Unternehmen als Entertainer, Stoff für Hollywoodfilme und Hammer-Werbeartikel.

haptica7 interview2 - „Haptische Werbeträger erzählen Geschichten“

Frau Sammer, als Chief Creative Officer verantworten Sie die kreative Ausrichtung von Ketchum Pleon Deutschland und Ketchum Europa. Was macht Ihre Agentur aus?

Petra Sammer: Mit dem Merger der beiden Kommunikationsagenturen Ketchum und Pleon vor vier Jahren sind bei uns zwei sehr unterschiedliche Kulturen zusammengekommen. Pleon ist eine sehr starke Corporate Agentur, die in Deutschland und Europa jahrzehntelang Unternehmenskommunikation, also seriöses Beratergeschäft gemacht hat, u.a. Finanzkommunikation und Public Affairs. Dazu kommt mit Ketchum eine stark marketingorientierte Agentur mit dem Fokus auf Beauty-, Food- und Lifestylethemen und Disziplinen wie Event, Outdoor und Ambient. Beides zusammen ist eine brisante, aber auch sehr spannende Mischung, die nur wenige Netzwerke abdecken können und die für Unternehmen mit starken Lifestyle- Marken immer interessanter wird. So hat z.B. Procter & Gamble mit „Thank you, Mom“ vor zwei Jahren erstmals eine Corporate-Kampagne aufgesetzt.

Welche Veränderungen prägen Ihre Branche?

Petra Sammer: Social Media ist ein großes Thema. In den 1970er und 1980er Jahren kam den sogenannten Gatekeepern, einzelnen Medien, eine große Bedeutung zu. Doch ihre Funktion wird zunehmend außer Kraft gesetzt, oder anders ausgedrückt: Parallel dazu wächst die Peer-to-Peer-Kommunikation. Natürlich hat man immer schon auf seine Freunde gehört, aber jetzt hat die professionelle Kommunikation über die Social Media-Kanäle Zugriff auf die Mund-zu-Mund-Propaganda. Wir können uns einschalten, wenn zwei Freundinnen miteinander reden.

Verändert sich damit auch die Währung, in der sich PR-Maßnahmen messen lassen?

Petra Sammer: Noch immer bekommen viele Kunden einen Pressespiegel zusammengestellt, aber das wandert zunehmend in Richtung Online-Medien. Dazu werden Klickraten, Likes und Shares immer wichtiger. Die Diskussion um die Evaluation hat sich in den vergangenen Jahren massiv verändert. Was wirklich zählt, ist die Frage: Hat sich die Zielgruppe mit einem bestimmten Thema tatsächlich auseinandergesetzt? Das heißt, bei Erfolgsmessungen müssen wir in Zukunft noch stärker qualitative Faktoren berücksichtigen.


PR-Agenturen müssen sich im Sinne von Earned Media
das Weitertragen ihrer Botschaften „verdienen“. Haben Sie dafür analog zu Werbeagenturen Kreativabteilungen, die Ideen generieren?

Petra Sammer: Wir haben ein etwas anderes Verständnis von Kreativität. Die Ideenentwicklung entsteht bei uns auf einer viel breiteren Basis als das in den meisten klassischen Werbeagenturen der Fall ist. Bei uns ist jeder Berater gefordert, kreativ zu sein. Doch auch einige Werbeagenturen durchbrechen inzwischen ihre klassischen Strukturen, schaffen ihre Kreativdirektoren ab und demokratisieren die Kreativität, weil die Aufgabenstellungen, mit denen uns unsere Kunden heute konfrontieren, so breit sind, dass man dafür diverse Teams braucht. Man muss den verschiedenen Botschaften gerecht werden, alle Kanäle abdecken und selbstverständlich auch die internationale Umsetzung im Kopf behalten. Gleichzeitig hat unser Modell natürlich auch Schwächen. Spezialisten erreichen ein höheres Niveau. Deshalb ist es eine meiner Aufgaben, dafür zu sorgen, dass Ideen vor ihrer Umsetzung noch einmal eine Ebene höher gedacht werden.

Ketchum Pleon gehört zu den größten PR-Agenturen in Deutschland mit namhaften Kunden wie Bayer, Mercedes oder Bosch. Wie kreativ kann man hier werden?

Petra Sammer: Es gibt Agenturen – zumeist sind das Boutique- Agenturen –, die sehr mutige Kunden haben und deshalb auch sehr kreative Dinge umsetzen können. Wir haben große Kunden, die hier etwas vorsichtiger sind. Gleichwohl kommunizieren diese Unternehmen in ihrem Rahmen sehr innovativ. Ein gutes Beispiel dafür ist Bosch. Mit Kampagnen wie den „Invented for Life“-Web-Stories helfen wir dem Technologie-Unternehmen, zum Storytelling- Unternehmen zu werden. Der Ausgangspunkt dieser Veränderung war eine Webseite, die sehr textlastig und technisch war, und auf der sich die Besucher nur wenige Sekunden aufgehalten haben. Heute sind sie minutenlang auf der Webseite, auf der Fotos, Videos und Infografiken die Visualität erhöhen und sich die Besucher gut unterhalten fühlen, weil – und das ist neu – Bosch in den Geschichten nur eine Nebenrolle spielt.

Wie sieht so etwas konkret aus?

Petra Sammer: Z.B. handelt die letzte Web-Story von Mario Tito, einem Sprecher in einem brasilianischen Fußballstadion in Salvador da Bahia. Er spricht über die brasilianische Lebensart, über Fußball, seinen Job, die verbesserte Klangqualität im Stadion. Ganz zum Schluss folgt: Mario Tito begeistert die Menschen in der Itaipava Arena Fonte Nova – und Bosch ist mit seinem Lautsprechersystem ein Teil davon. Dazu gibt es eine Infografik zu den verschiedenen Fußballstadien. Das war‘s. Das Unternehmen nimmt sich hier sehr stark zurück, versteht sich ein Stück weit als Entertainer und wertet damit nicht nur seine Webseite, sondern auch seine Reputation auf. Viele dieser Geschichten greifen B2B-Themen auf, die eigentlich hochtechnische Themen sind. Würde man sie jedoch nach wie vor so erklären, wie es früher üblich war, würde kaum noch ein Rezipient auf der Webseite hängenbleiben. In diesem Rahmen bewegt sich unsere Kreativität.

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Zum Launch der Website 1-2-do.com powered by Bosch wurde das Pressematerial auf originelle Art verschickt: über einen Laptop aus Pappe. Pressematerial und USBStick befinden sich unter der Tastatur.

In den Social Media-Kanälen geht es um Likes, Shares und Followers. Wie kann man hier Themen lancieren?

Petra Sammer: Ein schönes Beispiel ist der animierte Film Mit Volldampf ins Showgeschäft, den wir für Bayer Healthcare und die Marke Lefax erstellt haben. Darin läuftein Marilyn Monroe-Lookalike über den roten Teppich und fühlt plötzlich einen Druck in der Magengegend. Statt peinlich berührt zu sein, nutzt sie die Blähungen geschickt für ihren Auftritt und damit als Karriereschub. Ziel der Kampagne „Kein Pups. Kein Ups.“ war es, über die Social Media-Plattformen vor allem bei jüngeren Frauen auf das Tabuthema aufmerksam zu machen. Und das ist uns auch geglückt. Zusammen mit einem weiteren Video erzielte der Clip auf Facebook eine Reichweite von mehr als 2,4 Mio. Kontakten.

Das klingt danach, als würden Bilder für die PR-Arbeit immer wichtiger. Verdrängen sie den Text sogar ein Stück weit?

Petra Sammer: Die Bildlastigkeit steigt auf jeden Fall. Und das liegt u.a. daran, dass die Aufmerksamkeitsschwelle massiv sinkt. Wenn man sich wie bei Twitter nur noch maximal 140 Zeichen lang konzentrieren kann, dann können wir uns allzu lange Abhandlungen, Daten und Fakten sparen. Heute erreichen wir unsere Zielgruppe mit Geschichten und Emotionalität. Über das Storytelling gelingt es uns, Informationen im Kopf zu verankern, so wie Märchen, die man einmal gehört hat und weitererzählen kann. Am spannendsten ist für uns das Corporate Storytelling: Gründermythen, exemplarische Geschichten des Unternehmens oder der Marke, über die sich Beziehungen aufbauen lassen. Z.B. haben unsere amerikanischen Kollegen gerade erst eine sehr spannende Kampagne für die United States Farmers & Ranchers Alliance aufgesetzt. Dazu wurde u.a. eine sehr aufwendige, 90-minütige Dokumentation für das Kino produziert. Im Fokus: Sechs Farmer, die mal traurig, mal dramatisch und dann wieder humorvoll aus ihrem Leben erzählen. Das sind echte Geschichten mit beeindruckenden Bildern, Stoff, aus dem auch Hollywoodfilme sind. Da macht das Wort Storytelling wirklich Sinn.

Eine bildfokussierte Kampagne haben Sie auch zum Welt-Meningitis-Tag 2013 für Novartis entwickelt …

Petra Sammer: Hier war es unser Ziel ein einziges, aber ästhetisch anspruchsvolles und berührendes Bildmotiv zu kreieren, mit dem wir auf die seltene, aber schwerwiegende Meningokokken-Erkrankung bei Kindern aufmerksam machen wollten. Das Foto sollte nicht schockieren, aber zum Nachdenken anregen. So entstand ein Bild mit 456 Teddys in Krankenbetten für die jährlichen Erkrankungen und 50 weißen Kreuzen für die Todesfälle. Gleichzeitig war die Installation, die zuerst auf dem Willy-Brandt-Platz in München, später auch neben der Londoner Tower Bridge aufgebaut wurde, für Besucher zugänglich. Passanten konnten die Botschaft buchstäblich selbst erfassen. Neben den vielen Medienberichten in Print, TV und Radio war diese Erlebbarkeit für uns ein schöner Zusatzeffekt, denn durch die physische Übersetzung konnte sich die Botschaft noch einmal anders verankern.

Das klingt wie ein Plädoyer für die haptische Kommunikation. Inwieweit spielt diese in Ihrer täglichen Arbeit eine Rolle?

Petra Sammer: Das kommt z.B. bei Geschäftsberichten zum Tragen, die Kunden wie die Metro nach wie vor drucken lassen, obwohl sich Informationen und Optik ohne Probleme auch digital aufbereiten ließen. Aber mit einem schweren Buch vermittelt man eben nicht nur Zahlen, sondern zugleich Wertigkeit. Dennoch hat sich unsere Arbeit in den vergangenen Jahren massiv virtualisiert. Früher waren Pressemappen haptisch, heute nutzen wir oft nicht einmal mehr einen USB-Stick, sondern werfen nur einen Weblink zu den Informationen an die Wand. Aber verankert sich das? Eine spannende Frage. Douglas Rushkoff schreibt in seinem neuen Buch Present Shock viel Interessantes zur digitalen Überforderung und plädiert dafür, dass man sich wieder mehr Zeit für Dinge nehmen sollte. In dem Moment, in dem ich etwas anfasse, tue ich das in der Regel.

Wo setzen Sie gegenständliche Werbeträger heute noch ein?

Petra Sammer: Die Pressekonferenz ist der Klassiker, aber natürlich kommen Werbeartikel auch auf Events, Messen und in Mailings immer mal wieder zum Einsatz. Taschen, Spiralblöcke, Notizbücher, Lanyards und Kugelschreiber zählen dabei zu den Standardartikeln. Für einen Kamerahersteller denken wir gerade über einen Filter als Giveaway nach, der, hält man ihn vor die Linse des iPhones, einen Instagram-Filter imitiert. Und für Bosch Power Tools haben wir anlässlich des Valentinstags den Kalender „With L(ove) I(inside)“ entwickelt, der originelle Geschenkideen rund um das Zuhause präsentiert. Insgesamt werden zwölf DIY-Projekte vorgestellt – inklusive Anleitung, Fotos, Materialliste und passenden Geräten. Und da die Werkzeuge mit Lithium- Ionen-Technik ausgestattet sind, wird aus „With L(ove) I(inside)“ schnell „With L(ithium) I(onen)“.

Was muss haptische Kommunikation im besten Falle leisten, um die PR-Arbeit zu befördern?

Petra Sammer: Es wird spannend, wenn dahinter eine Kampagnenidee steckt. Ein schönes Beispiel dafür ist der Hornbach Hammer aus echtem Panzerstahl, den ich bei der Jurierung in Cannes selbst in der Hand gehalten habe. Der Hammer ist hier die zentrale Idee, das Produkt untrennbar mit der Botschaft verankert. Das geht weit über das hinaus, was haptische Werbeträger normalerweise leisten, es zeigt jedoch ihr Potenzial: Sie können eine Geschichte erzählen. Ein anderes Beispiel ist die Smartwatch Nismo, die der japanische Automobilhersteller Nissan im vergangenen Jahr auf der IAA in Frankfurt vorgestellt hat. Das ist eine Uhr, die sowohl die Leistungsdaten des Fahrzeugs als auch des Fahrers erfasst und auswertet – von der Herzfrequenz bis zum Kraftstoffverbrauch. Dabei wurde die Botschaft „Autos sind heute digital vernetzt“ geschickt über die Uhr, die sozusagen als Trojaner fungierte, bei Presse und Endkunden lanciert.

Sie waren in Cannes in der PR Lions Jury. Welche Trends konnten Sie dort beobachten?

Petra Sammer: Ein nach wie vor großer Treiber für Kreativität ist Technologie wie Augmented Reality, das Internet der Dinge, Wearable Electronics. Allerdings glaube ich, dass wir in den kommenden Jahren wieder zum Gegenständlichen zurückkommen werden. Während T-Shirts heute im Wesentlichen über Motive kommunizieren, werden schon bald weitere Faktoren hinzukommen. Haptisches wird sich intelligent vernetzen und dann verschmelzen beide Welten wieder zu einer.

// Mit Petra Sammer sprach Andrea Bothe.

www.ketchum.com

 

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