Einfältige Werbung geht spurlos an der Vielfalt des Marktes vorbei. Für werbende Unternehmen ist es daher höchste Zeit, die Regenbogenflagge zu hissen. Mit aufrichtigem Engagement und frechen Sprüchen gelingt die langfristige Bindung der homosexuellen Zielgruppe an die eigene Marke.

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© Kornelija Rade/CSD München

Trotz zunehmender gesellschaftlicher Akzeptanz, die sich im Lebenspartnerschaftsgesetz, öffentlichen Outings prominenter Persönlichkeiten, dem Sieg der österreichischen Sängerin Conchita Wurst beim Eurovision Song Contest oder der zunehmenden Anzahl öffentlicher Veranstaltungen wie dem Christopher Street Day manifestiert, spielt die homosexuelle Zielgruppe in der Kommunikation werbender Unternehmen bislang eher eine untergeordnete Rolle. Dabei bietet die Gay Community ein hohes Marketingpotenzial: Übereinstimmenden Schätzungen zufolge liegt der Anteil schwuler Männer an der deutschen Bevölkerung bei 7 bis 9% und der von lesbischen Frauen bei 3,5 bis 4,5%. Hinzu kommen Menschen mit bisexuellem, transsexuellem und intersexuellem Hintergrund. „Allein in Deutschland ergibt sich daraus eine Zielgruppe, die mehr als 5,5 Mio. Menschen aus allen Bereichen der Gesellschaft umfasst. Für Unternehmen, die ihre Marketingbudgets nicht unspezifisch nach dem Gießkannen-Prinzip, sondern gezielt und streuverlustarm einsetzen wollen, ein interessanter Markt“, konstatiert Michael Drescher, Geschäftsführer und Creative Director bei Communigayte, einer auf Zielgruppen-Marketing für die Gay Community spezialisierten Werbeagentur.

Konsumfreudig und kritisch

Bislang am ehesten als potenzielle Kunden angesprochen werden schwule Männer. Rita Braaz, Pressesprecherin der CSD München Veranstaltungs GmbH: „Schwule werden im öffentlichen Bewusstsein stärker wahrgenommen als Lesben, das spiegelt sich auch in der Werbung wider, in der die Liebe unter Männern zum Synonym für gehobenen Lifestyle avanciert ist.“ Schwule gelten als finanzstark, konsumfreudig und luxusorientiert („double income, no kids“). Lesben hingegen werden im Marketing weitaus seltener berücksichtigt, was nicht nur an der üblicherweise geringeren Kaufkraft von Frauen liegt, sondern auch an der weniger einheitlichen und dadurch vermutlich schwerer anzusprechenden Zielgruppe. Dennoch: Erfahrungen wie das Coming-out und ein ausgeprägtes Bewusstsein für Diskriminierung einen Schwule, Lesben und darüber hinaus die gesamte LGBTI-Gemeinde (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender and Intersexed). Gemeinsame Werte wie Offenheit, Akzeptanz und Solidarität werden auf Veranstaltungen wie dem Christopher Street Day, kurz CSD, oder den GayGames demonstriert und schlagen sich auch in einem homogenen Kaufverhalten nieder.

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KLM und Air France statteten die Gäste der Kölner Aids-Gala mit Fächern aus.

Dabei wirft die Zielgruppe stets ein wachsames Auge auf die Marketingaktivitäten werbender Unternehmen. Drescher: „Von einer Printanzeige in einem Gay-Magazin, die eine statistische Durchschnittsfamilie aus Vater, Mutter, 1,4 Kindern und einem halben Labrador zeigt, fühlt sich die homosexuelle Zielgruppe weder angesprochen noch ernstgenommen. Jagt die Chefetage bloß dem ‚Pink Dollar‘ hinterher, wird sie abgestraft. Unternehmen, die im Gegensatz dazu auf die Lebenswelten der Community eingehen, sich langfristig glaubhaft positionieren und möglicher Kritik konservativerer Käufergruppen offen entgegentreten, sichern sich unter Garantie einen Platz im Herzen der LGBTI-Gemeinde.“ „Sponsoren, die sich auf Veranstaltungen wie dem CSD für die Rechte und Belange der Community einsetzen, werden mit markentreuen und loyalen Kunden belohnt“, ergänzt Braaz.

Gemeinsam stark

Über den Christopher Street Day lässt sich ein Großteil der Zielgruppe direkt und ohne Streuverluste ansprechen. 2014 fanden allein deutschlandweit offiziell in 53 Städten Veranstaltungen zum CSD statt, in Großstädten wie Berlin und Köln liegt die Zahl der Teilnehmer bei bis zu einer Mio. Braaz: „Die Veranstaltung hat eine immense Bedeutung für die Community – sie ist öffentliches Statement, Familienfest und politische Demonstration in einem. Gemeinsam wird die zunehmende Akzeptanz in der Gesellschaft gefeiert und gleichzeitig die Aufmerksamkeit auf Forderungen gelenkt, die die LGBTI-Gemeinde aktuell an Politik und Gesellschaft stellt. Vor diesem Hintergrund muss der Auftritt einer Marke auf dem CSD immer mehr als eine reine Marketingmaßnahme sein. Die Unternehmen werben gemeinsam mit ihrer Zielgruppe für Toleranz. Der Münchner CSD trägt dazu mit seinen Sponsorenrichtlinien bei: Werbepartner erhalten bei uns keinen separaten Wagenplatz, sondern können ausschließlich gemeinsam mit Vereinen und Gruppierungen aus der Szene an der Parade teilnehmen. Damit fördern wir das gemeinsame Erleben und den Zugang der Unternehmen zur Community.“

Auf dem Kölner CSD können Unternehmen einen eigenen Wagen zur Parade anmelden. Die niederländische Fluggesellschaft KLM ist zudem seit über zehn Jahren mit einem Stand und als Partner der Kölner Aids-Gala zugunsten der Aids-Hilfe Köln aktiv, 2014 erstmals im Verbund mit der Air France. Flankiert wurde der diesjährige Auftritt durch zwei Fotoaktionen. Während eine bemalte Fotowand am Stand die Besucher in Flugbegleiter oder Flugbegleiterinnen verwandelte, konnten die Gäste der Aids-Gala in einer Fotobox individuelle Erinnerungsfotos vor einer Strandkulisse von sich schießen. „Der Imageaufbau und das Erzeugen eines positiven emotionalen Erlebnisses, das der Kunde mit uns verbindet, sind für uns zentral“, so Regina Dümig, bei Air France KLM als LGBT Marketing Communication Executive für Deutschland tätig. „Unser Ziel ist dabei neben dem Abverkauf immer auch die Positionierung von KLM und Air France als ‚gay-friendly airline‘. Schwule und Lesben sind für uns eine interessante Zielgruppe, denn sie reisen tendenziell häufiger als der Durchschnitt und außerhalb der regulären Urlaubszeiten. Außerdem verstehen wir sie als Trendsetter, die oftmals früher als andere in Regionen reisen, die als Urlaubsziele bislang noch unentdeckt sind.“ Für jeden Gast der Aids-Gala gab es von KLM und Air France einen Fächer, der den Slogan „We are family“ trug. Dümig: „Von der Message fühlen sich – unabhängig von der sexuellen Orientierung – sämtliche Beteiligte des CSD und der Aids-Gala angesprochen. Darüber hinaus hat das Giveaway durch die Funktion des Luftzufächelns einen praktischen Nutzen und wird über das Event hinaus weiterverwendet.“

Die Verwendung von Schlagworten, die die breite Masse ansprechen, zugleich aber für die homosexuelle Zielgruppe eine besondere Konnotation haben, ist eine beliebte Spielart der LGBTI Kommunikation, die auch die Automarke Ford – seit Mitte der 1990er Jahre beim Kölner CSD aktiv und für die Bereitstellung des Hauptpreises der offiziellen CSD-Tombola verantwortlich – für ihr passgenaues Zielgruppenmarketing verwendet. Frank Niewöhner, Leiter Marketing Kommunikation der Ford-Werke GmbH: „Mit dem Verweis auf Werte wie ‚Freiheit‘, ‚Toleranz‘ und ‚Selbstbestimmtheit’ setzen wir bei der Auswahl von Motiven und Slogans im Kontext des CSD leicht codierte Nachrichten, die in der Community bestimmte Assoziationen wecken, aber auch von einer breiten Öffentlichkeit dankbar angenommen werden.“ Mit den Verschlüsselungen demonstrieren Unternehmen, dass sie die Zielgruppe genau kennen. Positiver Nebeneffekt: Die heterosexuelle Zielgruppe fühlt sich gleichermaßen angesprochen. Dieses Prinzip verfolgt Ford auch bei der Auswahl gegenständlicher Werbeträger und bedient sich als in der Region ansässiges Unternehmen beim Verteilen von Lollis, Traubenzucker und Rosen der Kölner Karnevalstradition. Nicht zuletzt positioniert sich Ford als attraktiver Arbeitgeber der Region und spricht potenzielle Mitarbeiter an. „Durch die Teilnahme unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf dem CSD bietet sich uns eine einmalige Möglichkeit, zu zeigen, dass unsere Präsenz keine Marketingtaktik, sondern ein Spiegelbild gelebter Vielfalt im Unternehmen ist und untermauert unser langjähriges Diversity Management“, erklärt Niewöhner.

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V.l.: Bundestagsvizepräsident n Claudia Roth, Bundestagsabgeordneter Kai Gehring und Berivan Aymaz, Mitglied im Kölner Rat. (© Dominic Hallau/Bündnis 90/Die Grünen)

Heiter bis politisch

Mit Witz und Charme gehen auch lokale Vertretungen großer Parteien auf die Zielgruppe zu, um mit der Teilnahme am CSD ihr Profil als Gemeinschaft der Vielfalt zu schärfen. Beim Bündnis 90/Die Grünen zählen Schwule und Lesben zur Kernwählerschaft der Partei. An den Paraden nehmen sowohl kommunale Politiker als auch Abgeordnete des Landes wie Claudia Roth und Volker Beck teil. Mit jährlich neuen Slogans gelingt der Partei der kreative Brückenschlag zwischen politischer Aussage und zielgruppengerechter Ansprache. Elke Hausner, Mitglied im Kölner Arbeitskreis Queer der Grünen: „Am besten funktionieren Artikel, die mit speziell für den CSD entworfenen Sprüchen gebrandet sind, z.B. ‚CSD statt CSU‘, ‚Überall wird’s wärmer‘ oder ‚Beweg deinen Arsch‘. Zusätzlich greifen wir auf Werbeträger des Bundesverbandes zurück. Unser Jutebeutel mit der Aufschrift ‚Geiler Sack‘ wurde zwar ursprünglich nicht speziell für die Zielgruppe konzipiert, kommt aber aufgrund der mehrdeutigen Konnotation sehr gut an. Das Spiel mit Klischees erfordert allerdings ein genaues Gefühl dafür, wann das ironische Augenzwinkern in die Lächerlichkeit abzudriften droht. Schließlich geht es nicht darum, mit Homosexuellen zu werben, sondern für sie.“

Fabian Spies, SPD-Landesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft SchwusosNRW, weiß ebenfalls um die Wichtigkeit der gezielten Ansprache: „Artikel, die sich mit Texten, Symbolen und Farbgebung an die LGBTI-Gemeinde richten, passen zum toleranten und bunten Charakter der Veranstaltung. Durch haptische Werbeträger wird außerdem der Zugang zu den heterosexuellen CSD-Besuchern erleichtert, denn man kommt schneller und einfacher ins Gespräch.“

Dass das nach wie vor nötig ist, zeigen gesellschaftliche Bereiche wie der Fußball. Wo Fußballfans „schwul“ als abwertende Bezeichnung für die gegnerische Mannschaft einsetzen, ist es verständlich, wenn Coming-outs wie das des Ex-Nationalspielers Thomas Hitzlsperger Einzelfälle bleiben. Mit gutem Beispiel geht der 1. FC Köln voran: Gemeinsam mit dem schwul-lesbischen Fanclub „Andersrum-Rut-Wieß“ war der Bundesligaverein mit einem Wagen und einer Fußgruppe auf dem diesjährigen CSD vertreten. Tobias Kaufmann, Leiter Medien & Kommunikation beim 1. FC Köln: „Wir möchten als Fußballclub dieserStadt erlebbar und anfassbar sein. Deshalb zeigen wir Präsenz bei großen Events – sei es der CSD, der Karneval oder andere große und kleine Veranstaltungen. Wir sprechen Menschen an, die am Fußball-Erlebnis 1. FC Köln teilhaben möchten, völlig unabhängig von weltanschaulichen, religiösen, ethnischen oder sexuellen Hintergründen.“

Von den über 100 Unterstützern wurden rund 3.000 Bändchen in Regenbogenfarben mit dem Logo des 1. FC Köln und dem Spruch „Schwule Pässe gibt es nicht“ verteilt. Der Slogan entstand in Zusammenarbeit mit dem Fanclub für einen Aktionstag gegen Homophobie im Rahmen eines Spiels gegen Arminia Bielefeld. „Über den Fußball hinaus haben wir eine gesellschaftliche Verantwortung und stellen klar heraus, dass Gleichstellung in unserem Club kein bloßes Lippenbekenntnis ist. Es geht dabei nicht nur um Präsenz in der Community, sondern viel globaler betrachtet, um das Eintreten für gesellschaftliche Toleranz im Allgemeinen“, so Kaufmann. Ein Denkanstoß für Werbeagenturen und Marketingverantwortliche, das Thema LGBTI-Marketing häufiger ins Spiel zu bringen und der zielgruppenspezifischen Werbung langfristig auch in Mainstream-Medien Platz einzuräumen.

// Jasmin Oberdorfer
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