Gaming ist zum Volkssport avanciert, 42% aller Deutschen tun es zumindest ab und an. Trotz aller Digitalisierung hat das Business zahlreiche haptische Kontaktpunkte. Giovanni Russo, Head of Trade Marketing bei EA, über das Beuteverhalten von Gamern, Lebenssimulationen mit Ikea-Regalen und dosierte Sondereditionen.

FIFA14 Saturn Köln Maybachstr - „Wider das Gießkannenprinzip“

Herr Russo, wie hat sich der Markt für Videospiele in den vergangenen Jahren verändert?

Giovanni Russo: Die Einstiegsbarrieren sind gesunken, und unsere Zielgruppe hat sich damit erheblich ausgeweitet. Früher wurde vor allem auf TV-Konsolen und PCs gespielt, inzwischen gibt es mobile Plattformen wie Smartphones oder Tablets, und zahlreiche Spiele können kostenlos heruntergeladen werden. Und noch etwas hat sich verändert: Während man sich vor einigen Jahren noch lange und intensiv mit den Spielen beschäftigen musste, kann man viele heute einfach mal zwischendurch spielen. Das heißt, ich muss mir weder ein zusätzliches Gerät kaufen noch viel Zeit investieren. Diese Faktoren haben den Markt der digitalen Spiele, der in Deutschland im Jahr 2013 ein Volumen von 2,66 Mrd. Euro betrug, unglaublich beflügelt.

Gibt es den typischen Gamer dann überhaupt noch?

Giovanni Russo: Heute wird in allen Altersgruppen, in allen Einkommensschichten und in allen Bildungsgruppen gespielt. Vier von zehn Personen sind Gamer, vor allem bei Frauen ist der Anteil in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Wirft man einen Blick auf die Typologie der Computer- und Videospieler, dann ist der „Freizeitspieler“, der nur gelegentlich spielt, mit 54% die größte und mit einem Durchschnittsalter von 44 Jahren auch die älteste Gruppe. Während der „Intensivspieler“, im Volksmund auch Zocker genannt, die jüngste und mit 5% kleinste Gruppe stellt. Dazwischen liegen der „Gewohnheitsspieler“, für den Spiele wie Bücher, Filme und Musik zum Leben dazugehören, der „Fantasiespieler“, der vor allem das Spiel mit den Rollen mag, sowie der „Denkspieler“, der in Videospielen die Herausforderung sucht, Lust am Knobeln, Managen und geschickten Taktieren hat. Das heißt: Den Gamer gibt es nicht. Wenn wir allerdings nach einzelnen Genres differenzieren, dann lassen sich etwas spezifischere Zielgruppen ausmachen. So werden z.B. actionlastige Spiele, vor allem Ego-Shooter, mehrheitlich von jungen Männern gespielt.


Welche Zielgruppen sind für das Trade Marketing relevant?

Giovanni Russo: Neben dem Konsumenten ist der Shopper für uns natürlich von besonderem Interesse, der nicht unbedingt mit dem Gamer identisch sein muss. Ein Klassiker: Die Großmutter kauft für den Enkel im Geschäft ein Videospiel. Eine von uns in Auftrag gegebene Shopperstudie hat dabei verschiedene Cluster zutage gefördert, die vom Spontankäufer über den gezielten Shopper bis hin zum Schenker reichen, der erst im Laden seine finale Kaufentscheidung trifft. Sie alle müssen wir im Handel ansprechen.

Viele Games und virtuelle Zusatzinhalte wie etwa zusätzliche Ausrüstungsgegenstände werden inzwischen per Download gekauft. Wie wichtig ist der Vertrieb über den Handel noch?

Giovanni Russo: Das variiert von Land zu Land. Hier in Deutschland wird das Gros der Umsätze, mehr als 75%, nach wie vor im physischen Verkauf generiert.

Auch rein digitale Produkte sind am Point of Sale als Code in a Box erhältlich …

Giovanni Russo: Das erscheint zunächst widersinnig, lässt sich jedoch aus der Shopperpsychologie ableiten. Z.B. wollen manche Kunden keine Zahlungstransaktionen über das Internet tätigen. Dazu wird die Beratungskompetenz im Handel geschätzt sowie die Möglichkeit, an Demostationen Games anzuspielen. Zu guter Letzt möchten Shopper am Point of Sale unterhalten werden und anschließend mit ihrer „Beute“ nach Hause gehen. Der physische Handel hat erkannt, dass digitale Inhalte das Sortiment bereichern und sich mit ihnen Umsatz generieren lässt. Und so ist es an uns, Konzepte zu entwickeln, mit denen wir zusammen mit unseren Handelspartnern die Tür zur digitalen Welt öffnen können.

Zusammen mit Ihrem Team verantworten Sie alle Aktivitäten im Handelsmarketing. Was gilt es hier zu beachten?

Giovanni Russo: Im Prinzip sind wir dafür verantwortlich, dass sich die Ansprache über Kanäle wie TV, Print oder Social Media wie ein roter Faden bis zum Point of Sale durchzieht. Wir unterscheiden dabei drei wichtige Phasen: Die erste und für unsere Branche sehr wichtige Phase ist der Pre-Release, bei dem es darum geht, Vorbestellungen zu generieren. Dann folgt die ein- bis dreimonatige Release-Phase und daran anschließend der Post-Release, bei dem es u.a. um die Vermarktung digitaler Zusatzinhalte geht.

Auf welche verkaufsfördernden Maßnahmen setzen Sie Instore?

Giovanni Russo: Wir haben in den letzten Jahren ein klares Konzept entwickelt, das auf die Themen Qualität und Innovation setzt. Das bedeutet, dass wir in den Top Stores unserer Handelspartner mit individuellen und hochwertigen Einbauten dauerhaft platziert sind. Wir machen den POS zur Entertainmentfläche. Dazu gehören Visuals, Beleuchtungskonzepte, Zweitplatzierungen und Anspielstationen. Letzen Endes ist das eine Win-win-win-Situation, von der in erster Linie der Shopper, aber natürlich auch unsere Handelspartner und wir profitieren.

Für viele Produktgruppen sind Zugaben am POS ein wichtiger verkaufsfördernder Faktor. Welche Rolle spielen sie in Ihrer Branche?

Giovanni Russo: Wir sprechen in diesem Zusammenhang von Merchandisingartikeln, die wir sowohl in digitaler als auch physischer Form anbieten. Das wird jeweils sehr individuell auf den jeweiligen Release zugeschnitten. Unsere Werbeartikel müssen den hohen Qualitätsstandard unserer Spiele halten. Ferner müssen sie der Zielgruppe und natürlich auch dem Handelspartner einen Mehrwert bieten. Aus all dem ergibt sich, dass wir solche Produkte nicht nach dem Gießkannenprinzip, sondern sehr dosiert einsetzen, um Begehrlichkeiten für die Marke und die Markenwelt zu schaffen.

Viele Computer- und Videospiele werden schon verkauft, bevor sie im Laden stehen. Wie fördern Sie so etwas?

haptica7 nutzer2 - „Wider das Gießkannenprinzip“Giovanni Russo: Wir sind eine sehr neuigkeitsgetriebene Industrie. Ein wesentlicher Teil unserer Zielgruppe möchte die Spiele noch am Tag des Release spielen, und das unterstützen wir mit exklusiven physischen oder digitalen Inhalten. Daneben legen wir zum Teil sehr aufwendige Collector‘s Editions auf. Z.B. haben wir für Titanfall eine Premium-Edition mit detailgetreuer Nachbildung einer Spielfigur und zum Start der Fifa-Serie eine Collector’s Edition mit EA Sports-Fußball herausgebracht.

Markenkooperationen sind eine weitere Möglichkeit, Produkte zu individualisieren. Ist das für EA ein Thema?

Giovanni Russo: Wenn die Marken aufeinander einzahlen, machen wir so etwas durchaus. Z.B. haben wir für unseren Verkaufsschlager Need for Speed gemeinsam mit adidas eine limitierte Kollektion mit T-Shirts, Hoodies und Schuhen aufgelegt. Diese Kooperation wurde international aufgesetzt – alle Länder konnten auf die Premiumartikel zurückgreifen und sie im Rahmen von Events, PR-Aktionen oder Gewinnspielen einsetzen. Allerdings können solche Kooperationen auch digitaler Natur sein. Für die Lebenssimulation Sims gab es z.B. Markenkooperationen mit Ikea und H&M. Spieler konnten sich die entsprechenden Home und Fashion-Accessoires für ihre digitale Welt kaufen.

Als Spieler-Mekka gilt die gamescom, die Hunderttausende von Besuchern anzieht. Was macht die Messe so populär?

Giovanni Russo: Ganz entscheidend ist, dass man dort, ähnlich wie im stationären Handel, neue Spiele ausprobieren kann. Zudem ist das Spielen etwas zutiefst Soziales. Die meisten Gamer spielen lieber gegen reale Personen statt gegen eine künstliche Intelligenz. Ein beeindruckendes Beispiel hierfür war die eSport-Arena auf der gamescom. Einige wenige Leute haben auf der Bühne gegeneinander gespielt, und Hunderte von Besuchern haben auf der Tribüne zugeschaut. Das war ein echtes Happening.

Ihr Team verantwortet neben der Messeplanung auch die Durchführung von Events. Wie setzt EA in der Live- Kommunikation gegenständliche Werbeartikel ein?

Giovanni Russo: Im Zusammenhang mit der gamescom ist das Warteschlangenmanagement ein wichtiges Stichwort. Oft müssen die Gamer stundenlang ausharren, bevor sie ein Spiel ausprobieren können. Während dieser Wartezeit unterhalten wir sie mit iPad-Spielen und incentivieren sie mit Kleinigkeiten. Das war in diesem Jahr eine Sims-Demo-CD im Stoffbeutel. Zudem hatten wir ein Vintage T-Shirt für EA Sports im Einsatz, das an ausgewählte Kunden und Pressevertreter verteilt wurde.

Wie werden auf Veranstaltungen wie Kunden- oder Community-Events digitale Inhalte haptisch umgesetzt?

Giovanni Russo: Das ist sehr unterschiedlich. Mal ist das eine trendige Cap, ein anderes Mal eine wertige Sporttasche. Sehr haptisch war auch der Release unseres Shooters Titanfall, für den wir Anfang dieses Jahres mit unserem 6,40 m großen Titan Betty durch Deutschland getourt sind. Wer im Rahmen dieser Promotion ein Foto von sich und dem Titan auf Facebook oder Twitter geteilt hat, konnte mit etwas Glück eine limitierte Titanfall Collector’s Edition gewinnen. Und wer das Foto am Tag der jeweiligen Städte-Tour zu einer Gamestop- Filiale in derselben Stadt brachte, bekam dort ein exklusives Metallic-Poster zu Titanfall überreicht.

// Mit Giovanni Russo sprach Andrea Bothe.

www.ea.com/de

 

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