Ein unsichtbares Produkt, ein unübersichtlicher Markt und unentschlossene Kunden – Energieversorger haben es nicht leicht, wenn es darum geht, sich gegen Mitbewerber durchzusetzen. Auf welche spannungsgeladenen Strategien setzen Stromanbieter, um Sympathien zu schaffen, und welche haptischen Botschafter machen das abstrakte Thema Energie greifbar?

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Ohne einen Funken Inspiration durch Vergleichsportale, Informationsstände, Mailings und Werbeträger stünde man als Kunde bei der Wahl eines Energieversorgers wohl im Dunkeln. Denn wer sich nicht einfach darauf verlassen möchte, dass der richtige Strom zum angemessenen Preis aus der Steckdose kommt, hat die Wahl zwischen schlappen 13.000 Tarifen bei mehr als 1.100 Anbietern. Seit der Liberalisierung des Energiemarkts 1998 hat sich aus der Monopolstellung ehemals größtenteils staatlicher Betriebe ein großer, geradezu unübersichtlicher Markt aus zahlreichen neuen Anbietern entwickelt. Die Einführung des Erneuerbaren Energien Gesetzes (EEG) in 2000 hat für weitere Umbrüche im Markt gesorgt. Betrug der Ökostrom-Anteil zur Einführung der Gesetzesänderung noch etwa 6%, stieg er bis 2015 auf satte 30% an – eine Entwicklung, die die klassischen Großanbieter, deren Strom bis vor wenigen Jahren fast ausschließlich aus fossilen Brennstoffen und Atomkraft erzeugt wurde, gehörig unter Druck setzt. Unter Druck stehen aber auch die kleineren Energieversorger, die sich aus der breiten Masse hervorheben und auf Kundenfang gehen wollen. Schließlich bewirbt die Energiebranche ein unsichtbares Produkt, das für so manchen abstrakt ist oder eben als Teil des Alltags empfunden wird, über den man nicht länger nachdenkt – höchstens, wenn die nächste Rechnung wieder höher als erwartet ausfällt oder ein Bericht über die Folgen des Frackings die Runde macht.

Dass sich dennoch einige Kunden umentscheiden, zeigen die Zahlen der Bundesnetzagentur, laut denen allein im Jahr 2014 ganze 3,8 Mio. Stromkunden den Anbieter wechselten, davon etwa 2,6 Mio. außerhalb eines Umzugs. Es lohnt sich also, individuelle Strategien zu entwickeln, um Unentschlossene auf seine Seite zu ziehen oder Festentschlossene umzustimmen. Drei mögliche Wege sind dabei das Konkretisieren, Regionalisieren oder Politisieren der Energieversorgung.

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Kommunikation mit Augenzwinkern: Yello Strom zeigt mit Brusthaarsocken und Reitstunden der anderen Art skurrile Sparmethoden und wirbt so für einen neuen Strom- oder Gasvertrag.

Die Marke macht’s

Der 1999 gegründete Anbieter Yello Strom, ein Tochterunternehmen des Energieriesen EnBW Energie Baden-Württemberg AG, setzte von Anfang an konsequent auf Markenbildung und ein starkes Wiedererkennungssymbol, die Farbe Gelb. Diese Konkretisierung des Abstrakten und Unsichtbaren zahlt sich laut Claudia Tillmann, Leiterin Brand Experience bei Yello Strom, definitiv aus: „2014 bescheinigte uns eine GfK-Studie eine Markenbekanntheit von 90%. Dieser hohe Wiedererkennungswert liegt in unserem Ansatz begründet, Strom eine Farbe zu geben. Jeder weiß inzwischen, dass Strom gelb ist und assoziiert die Farbe mit uns, ebenso wie den Claim ‚Gelb. Gut. Günstig‘, der uns von Anfang an begleitet.“ Im Gegensatz zum Mutterkonzern ist Yello nur im Privatkundenbereich aktiv, auch kleine Gewerbetreibende werden wie Privatkunden gehandhabt – eine Vorgehensweise, die unmittelbare Auswirkungen auf die Markenkommunikation des Anbieters hat, wie Tillmann bestätigt: „Wir orientieren uns mit unseren Produkten und Services sehr stark an den Bedürfnissen des Kunden. Wichtig ist für uns, auf Augenhöhe zu kommunizieren – einfach, transparent und immer mit einem Augenzwinkern. Lustige Sprüche gehören ebenfalls zu unseren Markenzeichen. Wir wollen die langweiligen Produkte Strom und Gas durch unseren Auftritt etwas leichter und interessanter machen.“

Der bundesweite Anbieter setzt dafür sehr stark auf klassische Kommunikationswege, allen voran: TV-Spots. Kurzweilige Clips mit Überraschungseffekt, die inzwischen ebenso zu Yello gehören wie der gelbe Anstrich. Zur Ansprache eines breiten Kundenkreises ist der Online-Bereich vom eigenen Blog und Facebook-Auftritt bis hin zum Twitter-Account ebenfalls unverzichtbar. Ein Ansatz, um die Marke stärker zu konkretisieren ist zudem der Einsatz haptischer Werbung. So kommen CI-gerecht gestaltete Tassen bei Gewinnspielen im Social Media-Bereich zum Einsatz, während Brotdosen, Blöcke und weitere gebrandete Giveaways bei Promotion-Aktionen z.B. vor Einkaufszentren oder Baumärkten Aufmerksamkeit generieren und Neukunden mit Yello vertraut machen sollen. Nicht nur in der Neukundenakquise, sondern auch in der Mitarbeiterbindung und dem Employer Branding kommt haptische Werbung zum Einsatz: Vertriebs- und Marketingkräfte am Kölner Standort werden mit einem persönlichen Starterpaket begrüßt, auch die Callcenter-Teams erhalten als Zeichen der Wertschätzung einen persönlichen Willkommensgruß in Form einer Tasse und eines Yello-Sparschweins. „Bei der Auswahl achten wir darauf, dass die Werbeträger die Marke gut transportieren und setzen auf hochwertige Produkte. An den Promotion-Ständen setzen wir allerdings eher auf günstige Giveaways wie gebrandete Gummibärchen in Glühbirnenform“, so Tillmann. „Werbeartikel bringen uns eine Markenpräsenz in der Fläche – einen analogen Andockungspunkt. Selbstverständlich ist dabei eine konsequent CI-gerechte Gestaltung unerlässlich.“

Kolossal regional

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Nicht so sehr über die Farbgebung, sondern vielmehr über die Zugehörigkeit definieren sich kleine, regionale Anbieter. Das „Wo“ und nicht das „Wie“ ist hier zunächst einmal entscheidend. So auch für die Gemeindewerke Nümbrecht (GWN), die sich vor etwa 20 Jahren von RWE lossagten, per einstweiliger Verfügung ihr Stromnetz übernahmen und seither als Energieversorger aus der Region, in der Region und für die Region tätig sind. Dabei hilft eine stetige Präsenz, um sich gegenüber den großen, bekannten Anbietern zu behaupten, ebenso wie eine Schärfung des Profils für ein Durchsetzen gegen regionale Mitbewerber. Zu den definierenden Merkmalen, die die GWN seit einigen Jahren betont, zählt zum einen die vollständige Eingliederung des Anbieters in der Gemeinde, und zum anderen eine direkte, ehrliche Kommunikation. „Wir sind eben die sympathischen Leute aus der Nachbarschaft, die für den Verbraucher dienstleistend tätig sind“, so Marion Wallérus, Geschäftsführerin der GWN. Diese Art zu werben funktioniert natürlich nur, wenn keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Unternehmens bestehen, und ist für kleine Anbieter wesentlich einfacher umzusetzen.

Um in ihrer Nachbarschaft präsent zu sein und zu kommunizieren, dass sie ohne starken Partner im Hintergrund arbeitet, produziert die GWN Infomaterial, schaltet lokal Anzeigen, informiert auf der eigenen Website und ist auf Facebook aktiv. Am wirkungsvollsten ist jedoch der direkte Einsatz vor Ort. Die GWN tritt als Sponsor auf, unterstützt Schulen und Vereine und ist auf den Trikots verschiedener Mannschaften vertreten. An Wettkampftagen werden gebrandete Fanklatschen verteilt, die bei Besuchern Stimmung machen. „Ein Infostand macht in diesem Rahmen hingegen keinen Sinn, weil in diesem Moment nur das Handballturnier zählt. Um trotzdem mitmischen zu können, sind wir mit unserem Namen und Logo stets vertreten und haben die kleine örtliche Mehrzweckhalle zur ‚GWN-Arena‘ ernannt – ein Name, der die Leute zum Schmunzeln bringt und uns im Gedächtnis hält“, weiß Wallérus.

Ein gezieltes Unterfüttern der Maßnahmen mit passenden Giveaways und besonderen Präsenten hat sich für die GWN bewährt. So wird z.B. beim Versenden der Jahresrechnungen auf Haptisches gesetzt: Seit zwei Jahren liegt der Rechnung ein Gutschein für ein kleines Dankeschön bei, das vor Ort abgeholt werden kann. Da auch Wasser zum Portfolio gehört, wurde für die letzte Aktion eine Glyzerinseife produziert und ein Gästehandtuch beigefügt. „Das lieben die Leute – viele Kunden haben sich im Anschluss persönlich bei uns bedankt. Ich glaube, dass alles, was man anfassen und von Hand zu Hand verschenken kann, mehr auf die Menschen wirkt, als 50 Euro im Jahr zu sparen“, schlussfolgert Wallérus. „Natürlich müssen die ausgewählten Produkte zu uns passen, teuer müssen sie aber nicht sein – vom bei größeren Unternehmen üblichen Werbebudget von 1–3% des Umsatzes sind wir meilenweit entfernt. Das gleichen wir mit Kreativität und Einsatz aus und ziehen z.B. im Oktober mit einem festlich geschmückten Verkaufswagen mit Seppelhüten und gebrandeten Lebkuchenherzen durch die 96 Dörfer der Gemeinde. Wir denken uns eben immer etwas Neues für unsere Nachbarn aus.“

Umdenken für die Umwelt

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Persönliche Ansprache: Im Durchschnitt war Greenpeace Energy im vergangenen Jahr alle vier Tage mit einem Stand irgendwo in Deutschland anzutreffen.

Mit einem klaren, gesellschaftspolitischen Ziel vor Augen geht Greenpeace Energy seit 1999 auf Kundenfang oder eher gesagt auf die Suche nach Mitstreitern. Als sich nach der Liberalisierung des Strommarktes kein Anbieter fand, der den strengen Maßstäben der Umweltorganisation Greenpeace in puncto Ökostrom gerecht wurde, gründeten engagierte Umdenker die Energiegenossenschaft, die heute mit über 23.000 Mitgliedern in Deutschland zu den größten ihrer Art zählt. „Hauptunterscheidungsmerkmal zu klassischen Stromanbietern sind sicherlich unsere Historie und unsere DNA. Wir sind aus einer Greenpeace-Kampagne entstanden, die Verbrauchern eine Alternative zum Atomstrom bieten sollte. Unsere Werte – Glaubwürdigkeit, Transparenz und Unabhängigkeit – stellen wir als Genossenschaft sicher, denn wir gehören keinem Mehrheitsaktionär, sondern unseren Kunden“, konstatiert Olaf Altmann, Leiter Vertrieb und Marketing bei Greenpeace Energy. „Wir können darlegen, woher unser Strom und unser Gas kommen, wohin das Geld geht, wer unsere Vorlieferanten sind, aber auch, wo wir unsere Materialien einkaufen – von Werbeartikeln bis hin zum Büromaterial.“ Neben der unternehmenspolitischen Ausrichtung unterscheidet sich Greenpeace Energy im Werbeetat von den großen Anbietern und greift zur Alternative. Anstelle aufwendiger 360°-Kampagnen tritt eine gezielte, persönliche Ansprache. „Im Durchschnitt waren wir im vergangenen Jahr deutschlandweit alle vier Tage mit einem Stand präsent, um persönlich mit den Menschen in Kontakt zu treten. Besonders unsere Roadshow ‚Die Zeit ist reif‘ hat uns die Möglichkeit eröffnet, neben dem Verteilen von Infomaterial und kleinen Präsenten ausführlich mit potenziellen Neukunden ins Gespräch zu kommen“, so Altmann.

Darüber hinaus setzt Greenpeace Energy auf die Kooperation mit gewerblichen Kunden – vom wertigen Emaille-Schild im Verkaufsraum bis hin zu gemeinsam gebrandeten Werbeartikeln. Bei Veganz, einem Anbieter veganer Produkte, erhielten Kunden ab 20 Euro Einkaufswert einen mit einem Co-Branding versehenen Stoffbeutel, der auf den alternativen Lebensstil abzielt. „Ein wichtiges Thema, an dem wir aktiv arbeiten müssen, ist die Bekanntheit. Viele kennen uns noch nicht oder nehmen nur Greenpeace wahr, weshalb wir auf mit Greenpeace Energy gebrandete Artikel setzen, die den Fokus auf die Genossenschaft legen. Das kann unsere Tasse sein, die bei einem Bekannten im Schrank steht, oder eben ein Schild, das im Ladenlokal hängt. Bei unserem Vertriebspartner Bio Hotels sind wir zudem mit einer Infobroschüre auf den Zimmern direkt präsent, ein anderes Hotel verleiht unsere Regenschirme an seine Gäste.“ Bei der Auswahl der Artikel spielen Sendebewusstsein und Nachhaltigkeitsgedanke eine Rolle. „Wegwerfprodukte versuchen wir zu vermeiden. So haben wir inzwischen auch das Verteilen von Tütchen mit Studentenfutter und Gummibärchen eingestellt, auch wenn diese auf Messen sehr gefragt waren. Wenn Greenpeace Kampagnen zu Plastik in den Ozeanen oder Chemikalien in der Textilwirtschaft aufgreift, können wir keine Nüsse in kleinen Plastiktütchen oder Stoffe mit Bleifarben einsetzen“, konstatiert Altmann. Damit die Botschaft aktiv weitergetragen wird und der Werbeträger den strengen Regeln und Wertevorstellungen entspricht, kommen z.B. gebrandete T-Shirts und Hoodies von namhaften Fair Trade- Herstellern zum Einsatz. „Die Leute tragen die Shirts gern privat oder auf Veranstaltungen und sorgen so für eine Extraportion Aufmerksamkeit“, so Altmann, der sich über jeden Mitstreiter für die gute Sache freut.

Welche strategische Ausrichtung letzten Endes greift – ob Strom nun konkretisiert und direkt mit einer allseits präsenten Marke verknüpft wird, ob er als regionales Gut gilt, das vom freundlichen Nachbarn bereitgestellt wird, oder ob er als Politikum die Gemüter bewegt und zum Umdenken motiviert – für Anbieter ist entscheidend, eine emotionale Bindung also einen unmittelbaren Bezug zu einem abstrakten Produkt zu schaffen, um sich von der Masse der über 1.000 Wettbewerber abzusetzen und potenzielle Kunden gezielt anzusprechen. Wie gut ihnen das gelingt, wird der Wechselstrom zeigen.

// Claudia Pfeifer

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