Dass Werbeartikel effektive Marketinginstrumente sind, sagt einem die Erfahrung und der gesunde Menschenverstand. Wissenschaftlich bewiesen ist das allerdings bislang nur in Ansätzen. Prof. Dr. Michael Paul, Lehrstuhlinhaber für Value Based Marketing an der Universität Augsburg, ist mit Forscherkollegen der Sache auf den Grund gegangen und kommt zu eindeutigen Ergebnissen: Haptische Werbung wirkt. Ein Gespräch über ein unterschätztes Werbemedium, Schokoherzen und den „Need-to-touch“.

Paul Aufmacher org Mosaik - „Haptische Werbung bringt was!“

Herr Prof. Paul, wenn man in die Vorlesungsverzeichnisse der einschlägigen Marketinglehrstühle Deutschlands schaut, fällt auf, dass die haptische Werbung fast gar nicht vorkommt: Ist der Werbeartikel nicht interessant genug für Forschung und Lehre?

Prof. Dr. Michael Paul: Es ist richtig, dass Werbeartikel an den Universitäten eine sehr untergeordnete Rolle spielen und ihnen auch in den Lehrbüchern maximal ein kleines Kapitel gewidmet ist. Vermutlich ist diese Werbeform in der Vergangenheit – zu Unrecht – oft als ein bisschen trivial wahrgenommen worden. Man fand TV und Print irgendwie spannender und hat sich auf das Marketing großer Unternehmen fokussiert, bei denen Werbeartikel eben nur eine von vielen Maßnahmen sind. Hinzu kommt, dass es in der jüngeren Vergangenheit eine wahre Explosion von Neuen Medien gegeben hat, die im Rahmen eines Omni-Channel-Marketings alle eine gewisse Relevanz besitzen. Angesichts der begrenzten Anzahl an Marketingkursen, die die Studierenden innerhalb ihres Studiums normalerweise durchlaufen können, ist der Werbeartikel also beileibe nicht das einzige Thema, was unterrepräsentiert ist. Ganz sicher steht die mangelnde Aufmerksamkeit jedoch nicht im Einklang mit der tatsächlichen Relevanz haptischer Werbung – das zeigen z.B. die Zahlen, die der GWW (Gesamtverband der Werbeartikel- Wirtschaft e.V.) veröffentlicht hat, die für 2018 Ausgaben von 3,58 Mrd. Euro für Werbeartikel ausweisen. Auch gibt es spezifische Aspekte wie z.B. die Dimension des Haptischen, die für das Marketing von großem theoretischen Interesse sind. Gegenständliche Werbeträger sind daher weit spannender, als man gemeinhin denkt, und werden vielfach – auch von den Unternehmen – unterschätzt.

Sie haben die derzeitige wissenschaftliche Literatur auf Aussagen und Studien zum Werbeartikel untersucht. Was sagt denn die Wissenschaft: Lohnt sich der Einsatz haptischer Werbung für die werbetreibende Industrie?

Prof. Dr. Michael Paul: Alle Veröffentlichungen, die ich kenne, sind sich dahingehend einig: Ja, es bringt etwas. Werbeartikel haben einen spürbaren Effekt. Die meisten Studien überprüfen, unter welchen Bedingungen gegenständliche Werbeträger mehr oder weniger effektiv sein können, was also die Erfolgsfaktoren für den Einsatz haptischer Werbung sind. Dazu gehört z.B. die Kongruenz von Werbeartikel und beworbener Marke, die umso wichtiger wird, je stärker die Marke ist. Bei schwachen Marken, deren Fokus eher auf dem Verkauf über den Preis liegt, ist es wichtig, überhaupt in Werbung zu investieren, bei starken Marken, die sich übers Image verkaufen, sind Widersprüche zwischen dem Image und dem eingesetzten Werbeartikel dann jedoch ein Problem.

Wie lässt sich eine solche Kongruenz zwischen Marke und Werbeartikel bewerkstelligen?

Prof. Dr. Michael Paul: Es geht darum, einen hohen Markenfit zu erzielen, indem man Elemente der Marke auf den Werbeartikel überträgt. Das kann ein ähnlicher Nutzen sein oder eine sich gegenseitig entsprechende Wertigkeit – eine Premiummarke z.B. sollte auch mit Premiumprodukten werben. Bei dem Eindruck von Kongruenz handelt es sich immer um eine holistische Einschätzung: Es darf nichts haken. Wichtiger als eine hundertprozentige Deckungsgleichheit anzustreben ist es jedoch vor allem, Widersprüche zum Markenkern zu vermeiden: Eine Marke, die für die Einhaltung ethischer Prinzipien steht, sollte nicht mit Textilien werben, die unter fragwürdigen Umständen hergestellt werden, eine uramerikanische Marke wie Harley nicht auf Werbeträger „made in China“ setzen usw.

Welche Rolle spielt der Wert der eingesetzten Werbeartikel?

Prof. Dr. Michael Paul: Es gibt keinen klaren Haupteffekt. Die Annahme, dass maximaler Aufwand auch maximalen Ertrag bedeutet, lässt sich in Bezug auf Werbeartikel wissenschaftlich nicht halten. Die Effekte hängen von vielen Faktoren ab, u.a. auch davon, wie ein Werbeartikel präsentiert und wie die Übergabe kommuniziert wird, aber auch, wie die Kundenerwartungen gelagert sind. Ein zu hoher Wert eines Kundengeschenks kann sogar kontraproduktiv sein, weil dann ein manipulativer Eindruck entstehen kann. Zu geringe Zuwendungen sind allerdings auch schlecht, weil sie trivial wirken können – der Empfänger fühlt sich nicht ernst genommen und sieht darin keine Geste der Anerkennung. In solchen Fällen ist es oft besser, einfach nur Dankeschön zu sagen und auf ein Geschenk zu verzichten. Zudem können sich negative Effekte im Zeitverlauf einstellen, wenn z.B. der Wert regelmäßig eingesetzter Jahresendgeschenke im Laufe der Zeit nachlässt und die einmal geweckte Erwartungshaltung beim Beschenkten nicht mehr erfüllt wird. Werbende Unternehmen müssen sich daher gut überlegen, welches Level sie durchhalten können, es sei denn, es gelingt ihnen, einmalig besonders hochwertige Gaben kommunikativ gut einzubetten – wenn sie sich etwa zu Jubiläen oder ähnlichen Anlässen besonders spendabel zeigen.

Gibt es Unternehmen, für die sich der Einsatz von Werbeartikeln eher lohnen kann als für andere?

Prof. Dr. Michael Paul: Entscheidend ist weniger die Branche als der Moment, in dem Werbeartikel eingesetzt werden. In der Einführungsphase einer Marke oder zu Beginn eines Verkaufsprozesses haben Geschenke besonders große Effekte. Sie erhöhen die Markenbekanntheit signifikant und wecken den Goodwill der Zielgruppe. Und für kleine Unternehmen, die nicht über die ganz großen Werbebudgets verfügen, sind Werbeartikel eine der wenigen Maßnahmen, die sie überhaupt einsetzen können. Zu vermuten ist zudem, dass stark vertriebsgetriebene Unternehmen, die viel auf den persönlichen Kontakt setzen – z.B. im B2B-Bereich – stärker auf gegenständliche Werbeträger setzen.

Was ist wirkungsvoller für den Abverkauf: Rabatte oder Werbeartikel?

Prof. Dr. Michael Paul: Preisorientierte Maßnahmen erzielen zunächst einmal stärkere Umsatzeffekte. Aber es gibt Ausnahmen: Für schwächere Marken, die eher über den Preis verkauft werden, können haptische Werbung bzw. Produktbeigaben profitabler sein, da der Kunde bei niedrigpreisigen Produkten von Preisinstrumenten nicht so stark profitiert. V.a. aber haben Rabatte schädliche Langzeiteffekte. Man kann empirisch verallgemeinern, dass Rabatte Marken kaputt machen, da sie die Wertwahrnehmung senken. Kunden warten auf die nächste Rabattaktion und sind unzufrieden, wenn sie den Preis nicht bekommen, den sie schon einmal hatten. Preisinstrumente sind daher v.a. in der Häufung sehr gefährlich. Bei haptischer Werbung dagegen gibt es überhaupt kein solches Risiko.

Werbeartikel erzielen nachweislich Effekte – liegt die Ursache dafür in dem viel zitierten Reziprozitätsprinzip?

Prof. Dr. Michael Paul: Das ist eine starke Theorie, die absolut plausibel ist und der sich viele Veröffentlichungen auch explizit anschließen. Der Grundgedanke ist einfach: Man gibt etwas und erwartet dafür eine Gegenleistung in Form eines Kaufs oder zumindest einer wohlwollenden Einschätzung gegenüber dem Absender. Werbegeschenke erfüllen genau diesen Zweck. Allerdings darf man diese Erwartungshaltung nicht explizit aussprechen, sondern nur implizit annehmen. Man kennt das von Geschenken im privaten Rahmen: Das Ritual wird zerstört, sobald eine Gegenleistung angesprochen wird. Es ist daher auch kein erfolgversprechender Weg, die Ausgabe von Werbeartikeln mit Bedingungen zu verknüpfen.

yehdou fotografie A7207578 mosaik - „Haptische Werbung bringt was!“Sie haben im letzten Jahr mit Forscherkollegen aus Köln und Münster eine eigene Studie zum Thema How Gifts Influence Relationships with Service Customers and Financial Outcomes for Firms veröffentlicht. Was war Ihre Triebfeder?

Prof. Dr. Michael Paul: Wir wollten in einem Feldexperiment zeigen, dass es eine Kausalität zwischen Umsatz und Geschenk gibt, dass Unternehmen aus Werbeartikeln o.a. Zuwendungen echten Profit schlagen können. Das Reizvolle an der Feldforschung ist dabei, dass man es mit echten Menschen und echten Unternehmen zu tun hat und die Untersuchung unter realen Bedingungen stattfindet. Das hat methodische Stärken, ist aber schwierig zu organisieren. Wir haben allein ca. zwei Jahre gebraucht, um ein Unternehmen – in unserem Fall eine deutsche Fluggesellschaft – zu finden, das sich darauf eingelassen hat, mitzumachen.

Worin unterscheidet sich eine wissenschaftliche Studie von Untersuchungen, wie sie von Marktforschungsinstituten durchgeführt werden?

Prof. Dr. Michael Paul: Einer der wesentlichen Unterschiede: Im Normalfall ist die Wissenschaft von niemandem beauftragt worden, wir haben daher auch kein Interesse, ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen, sondern versuchen, uns einer „Wahrheit“ anzunähern. Wir haben einen unabhängigen Blick auf die Dinge, und wir haben deutlich mehr Zeit, um den Dingen auf den Grund zu gehen. Diese Zeit braucht man auch, wenn man Langzeiteffekte überprüfen will. Zudem sind wir daran interessiert, möglichst generalisierbare Erkenntnisse zu gewinnen. Das Design der Studie war daher so aufgesetzt, dass die Ergebnisse auf andere Fälle übertragbar sind. Und dann sind bei wissenschaftlichen Publikationen einige Hürden zu überwinden, die sicherstellen, dass die Studienergebnisse auch sehr strengen Überprüfungen standhalten. Wir haben unser Manuskript bei einer international hochrangigen wissenschaftlichen Zeitschrift eingereicht, dann haben drei Gutachter, die nicht wussten, wer wir sind, ein Gutachten erstellt und ihre Kritikpunkte dargelegt, die wir dann ausräumen mussten. Dieser ganze Prozess nach der ersten Einreichung ging über vier Runden und ca. eineinhalb Jahre, bis die Studie veröffentlichungsreif war. Das Ziel aller Beteiligten ist es, mit maximaler Rigorosität alle denkbaren Fehler auszuschließen. Ich denke daher schon, dass wir im Ergebnis eine andere Härte haben als viele Marktforschungsinstitute. Sicherlich machen auch Wissenschaftler Fehler oder ihre Untersuchungen weisen Schwächen auf, aber die Wahrscheinlichkeit, der „Wahrheit“ nahezukommen, ist größer.

Wie war die Studie angelegt?

Prof. Dr. Michael Paul: Wir hatten 1.950 Kunden der Airline als Probanden, denen vier verschiedene Anreize gegeben wurden: Fluggutscheine, Gutscheine für Mietwagen oder Zeitschriften, Schokoherzen ohne Markenaufdruck als haptische Verstärker oder die Teilnahme an einem exklusiven Internetchat mit dem CEO. Die Kunden wurden zufällig in fünf Gruppen aufgeteilt: Vier Gruppen haben jeweils eine der Werbemaßnahmen erhalten, eine fünfte Gruppe als Kontrollgruppe jedoch nichts. Wir haben dann über einen gewissen Zeitraum geprüft, wie sich die Umsätze entwickeln und die Kunden mehrfach nach ihrer Einstellung zum Unternehmen befragt.

Welche Ergebnisse hat Ihre Studie zutage gefördert?

Prof. Dr. Michael Paul: Die erste Aussage, die wir treffen können, ist: Alle vier Maßnahmen haben eine klare Verbesserung der Umsätze und der kundenseitigen Wahrnehmung des Unternehmens nach sich gezogen. Es lohnt sich also auf jeden Fall, etwas zu machen. Wir haben aber auch untersucht, welche Geschenktypen am vielversprechendsten sind: Das waren ökonomisch direkte Zuwendungen wie die Fluggutscheine und sozial indirekte Zuwendungen wie die Schokoherzen.

Woran könnte das liegen?

Prof. Dr. Michael Paul: Ein Erklärungsansatz lautet: Gebe ich als Unternehmen ein klares Signal für einen ökonomischen Austausch, dann ist es ein Stück weit verwirrend für den Kunden, wenn die Gutscheine für andere Unternehmen ausgegeben werden. Bei sozialen Geschenken dagegen möchte das Unternehmen dem Empfänger signalisieren, dass es sein Freund ist. In diesem Fall empfiehlt es sich, möglichst wenig über sich selbst zu sprechen. Das Schokoladenherz funktionierte daher besser, als die Möglichkeit, mit dem CEO in Kontakt zu treten. Kunden interessieren sich weit weniger für die Unternehmen, bei denen sie kaufen, als die Manager glauben. Aus unserer Sicht würde ein gebrandetes Schokoladenherz daher auch voraussichtlich weniger gute Ergebnisse erzielen als eines ohne Markenaufdruck, aber das müsste erst noch evaluiert werden.

Wenn Sie Ihre Forschungen resümieren: Würden Sie Unternehmen zum Einsatz haptischer Werbung raten?

Prof. Dr. Michael Paul: Auf jeden Fall. Werbeartikel haben im Medienvergleich einen USP: Und das ist ihre haptische Dimension. Meine These ist: Trotz aller Digitalisierung ist die Welt noch lange nicht entmaterialisiert. Menschen haben diesen „Need-to-touch“. Und alles, was tangibel ist, kann auch markiert werden. Im Zeitalter der Digitalisierung wächst das Bedürfnis nach guten haptischen Eindrücken sogar eher. Gefällt die Haptik, fassen Kunden Zutrauen, die richtige Kaufentscheidung getroffen zu haben. Das bedeutet aber auch, dass haptische Werbung gut umgesetzt sein muss und Hochwertigkeit ausstrahlt. Schlecht gemachtes „Zeug“ hingegen ist eher gefährlich, erst recht angesichts Trends wie Liquid Consumption. Viele Zielgruppen streben demnach gar nicht mehr danach, möglichst viele Dinge zu besitzen. Wenn Werbeartikel aber nützlich sind und ihre Berechtigung als physische Gegenstände haben, lösen sie doch noch positive Wirkungen wie z.B. den Ownership-Effekt aus und stiften so ein Verbundenheitsgefühl zur Marke. Nicht zuletzt sorgen gegenständliche Werbeträger für Präsenz: Jedes Mal, wenn man sie nutzt, blitzt der Absender auf. Allerdings wäre ich vorsichtig, was zu große Brandings insbesondere bei sichtbaren Werbeträgern angeht: Anders als Fans wollen normale Kunden der meisten Marken nicht als Litfaßsäulen herumlaufen.

// Mit Prof. Dr. Michael Paul sprach Dr. Mischa Delbrouck.

Fotos: © WA Media (1); Klaus Satzinger-Viel (1); Bernadett Yehdou (1)

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