Events machen Marken und Produkte begehbar und anfassbar. In der direkten Kommunikation sind sie nicht nur visuell präsent, man kann sie auch fühlen, schmecken, riechen und hören. Sinnliche Erfahrungen, die auch der Werbeartikel bedient. Lutz Nebelin, Kreativgeschäftsführer Jung von Matt/relations, über Kofferspiele, leere Hallen und sich selbst reinigende Aquarien.

 
Herr Nebelin, Below-the-Line-Aktivitäten haben in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen. Was macht die Live-Kommunikation richtig?

Lutz Nebelin: Sie vereint schon seit vielen Jahren diverse Kommunikationsinstrumente und macht Marken und Produkte anfassbar. Das unmittelbare, gleichzeitige Erleben einer Marke oder eines Produktes, das Gemeinschaftsgefühl, die unterschiedlichen Zugänge und das Live-Erlebnis selbst mit seiner Dynamik und Dramaturgie sind anderen Kommunikationsinstrumenten mindestens ebenbürtig. Live-Kommunikation ist längst kein Appendix der klassischen Werbung, sondern ein eigenständiges multisensuales Instrument, um Verbraucher anzusprechen.

JvM/relations ist zurzeit die Nr. 1 im Ranking der Eventagenturen. Was ist das Geheimnis Ihres Erfolges?

Lutz Nebelin: Eine unserer Erfolgsformeln ist: Wir schauen medienneutral auf ein Kundenbriefing. Da wir mit PR, Social Media, Events und räumlicher Inszenierung mehrere Kommunikationsdisziplinen beherrschen, dürfen unsere Kunden von uns immer eine etwas andere Lösung ihrer Aufgabenstellung erwarten. Wir sind „Geschichtenerzähler“ und „Raumeroberer“. Und dann kommt noch Mut für kreative und überraschende Lösungen dazu. Das Wichtigste bleibt für uns allerdings: Content. Wir wollen eine glaubwürdige Geschichte erzählen und sie konsequent weitertragen – durch alle Kanäle mit allen Instrumenten.

Das heißt, der viel beschworene Begriff der„integrierten Kommunikation“ wird in Ihrem Haus auch mit Leben gefüllt?

Lutz Nebelin: Bei uns schon. Neben unseren Instrumenten können wir ja auch noch auf das Portfolio der gesamten Jung-von-Matt-Gruppe zurückgreifen. Wir haben in Hamburg gerade eine Agentur gegründet, die sich JvM/365 nennt. Integrierte Kommunikation bedeutet auch hier: Content in alle relevanten Kommunikationskanäle zu steuern. Heute können Sie in keinem klassischen Pitch bestehen, wenn Sie Ihre Idee nicht in alle für die Aufgabe notwendigen Disziplinen transportieren können. Das ist längst Tagesgeschäft und wird von den Kunden erwartet – sie fragen z.B. „Wie funktioniert die klassische Kampagne in Verbindung mit dem Messeauftritt?“ Oder briefen: „Verlängern Sie unsere Print- und TV-Kampagne in ein aufmerksamkeitsstarkes Event für Händler und Journalisten. Wie sieht die PR-Idee dazu aus?“

Die meisten Marketingmaßnahmen zahlen zunächst einmal auf den visuellen Reiz ein. Wie sieht das bei Events aus, die gute Voraussetzungen bieten, alle Sinne zu bespielen?

Lutz Nebelin: Ein einfaches Bild als Antwort: Die klassische Kampagne – ob nun TV, Print, Funk – stellt Behauptungen auf. Events müssen den Beweis antreten. Unmittelbar. Und natürlich spielen die Sinne bei Events eine herausragende Rolle. Das weiß jeder, der sein Heim-Kino verlässt und ein Fußballspiel live im Stadion erlebt. Im Stadion kann man nicht am Lautstärkeregler drehen.
Hören, Sehen, Schmecken, Riechen, Fühlen – natürlich machen wir uns die fünf Sinne bei Events zu Nutze. Wie fühlt sich eine Marke an, kann man sie hören, schmecken – was macht sie unverwechselbar?

Ist es prinzipiell notwendig immer alle Sinne zu bedienen?

Lutz Nebelin: Es passiert – absichtsvoll oder per Zufall. Wobei wir absichtsvoll bevorzugen. Es versetzt den Besucher eines Events in die Situation, diesen als stimmig wahrzunehmen. Es gibt uns die Möglichkeit, Inhalte und Botschaften über die Sinne zum Gast zu transportieren und sie nachhaltig zu verankern.
Denn die Wiedererkennung einer Marke oder eines Produktes fällt wesentlich höher aus, wenn man das Unterbewusstsein über verschiedene Sinne anspielt.

Klassik einmal unklassisch, um neue Zielgruppen zu begeistern: Für einen Tag verließen die Philharmoniker Hamburgs ihren angestammten Platz und verteilten sich auf 50 verschiedene Orte in der Stadt. Von dort spielten sie simultan – nur über Bildschirme mit der Dirigentin verbunden – ein Konzert der 2. Symphonie von Johannes Brahms.

Deklinieren Unternehmen ihre Marken und Produkte denn tatsächlich mulitsensual durch?

Lutz Nebelin: Wir wünschten uns, Marken ließen sich deutlicher auch über die Sinne unterscheiden. Es wäre sehr hilfreich, wenn Unternehmen kommunizieren würden, wie sie riechen, aussehen oder sich anfühlen möchten. Gerade bei Me-too-Produkten ist es extrem wichtig, dem Gast auf einem Event zu signalisieren: Du bist hier bei mir.
Bei einigen Marken, für die wir langfristig arbeiten bzw. gearbeitet haben, konnten wir Wiedererkennungsmerkmale etablieren. Bei singulären Events gibt es oft nur einen Zusammenhang mit dem Anlass – hier hilft die Wiederholung von Sinnesreizen für eine nachhaltige Erinnerung.
Generell ist das ein sehr aufwendiger Prozess, weil man jedes Detail in einem Katalog definieren muss. Beim Mobiliar wird das häufig schon praktiziert. Aber es wäre natürlich wünschenswert, dass man das konsequent auch auf die Sinne überträgt.

Stichwort Haptik: Gibt es Marken oder Produkte, bei denen der Tastsinn per se eine größere Rolle spielt als bei anderen?

Lutz Nebelin: Natürlich spielt Haptik insbesondere bei High End-Produkten eine wichtige Rolle. Machen Sie mal einen Einführungsevent für Kundenverkaufspersonal im Automobilbereich! Sie haben die tollste, ausgefeilteste, nie zuvor gesehene Inszenierung erdacht und umgesetzt, im besten Fall Spannung, Gänsehaut und Vorfreude produziert und dann kommt der Moment der Wahrheit: Die Verkäufer begutachten das neue Auto. Dürfen es endlich anfassen. Sich hineinsetzen. Alles ausprobieren. Vorher haben sie das Fahrzeug nur auf Fotos gesehen. 3D schlägt 2D um Längen. Wir mussten mal einen Verkäufer nach der Präsentation und der Erläuterung durch den Moderator aus dem Kofferraum holen …

Ein Sinn also mit viel Überzeugungspotenzial …

Lutz Nebelin: Über die Haptik kann man wunderbar bestimmte Produktvorteile vermitteln. Bei den Schulungsmaßnahmen werden z.B. regelmäßig Konkurrenzfahrzeuge miteinbezogen – um live die Wettbewerbsvorteile zu demonstrieren. Das heißt, bei einer Neueinführung eines Modells werden ein Audi A6, ein BMW 5er und ein Fahrzeug der Mercedes-Benz E-Klasse miteinander verglichen. Man lässt die Teilnehmer z.B. Koffersets im Kofferraum stapeln. Und dann stellen sie fest: Im ersten Auto lassen sich problemlos fünf Koffer verstauen, im zweiten sechs und im dritten ist sogar noch Platz für ein Golfbag. Über die sinnliche Erfahrung wird so etwas ganz anders erfasst und wirkt wesentlich nachhaltiger.

Inszenierung und Dramaturgie sind die Ingredienzien eines guten Events. Hier: der Pre-Launch des Mercedes- Benz GLK in Stuttgart.


Wie kann man sich noch an diesen Sinn herantasten?

Lutz Nebelin: Nehmen Sie an, ein Unternehmen will seinen Managern auf einer Kick-off-Veranstaltung vermitteln, dass ihnen ein hartes Jahr bevorsteht. Dann kann man das einmal verbal tun. Viel wirksamer ist es aber, wenn die Botschaft auch zu spüren ist, wenn den Teilnehmer z.B. schon am Eingang ein kalter Wind um die Ohren weht.
Oder man kürt die 350 Top-Manager eines Unternehmens in einer komplett leeren Halle, in der nur der Chef steht und sagt: Dahinten stehen die Stühle, suchen sie sich bitte ihren Platz. Dabei wird jedem unmittelbar klar: Das nächste Jahr wird kein Kindergeburtstag. Das sind emotionale sinnliche Verstärker einer Botschaft, die in die Dramaturgie passen. Und danach kann niemand mehr sagen, das habe ich nicht verstanden. Selbst wenn er es nicht verstanden hat, dann hat er es doch gefühlt.

Die haptische Wahrnehmung ist ein Aspekt, der auch den Werbeartikel von vielen anderen Kommunikationsmaßnahmen unterscheidet. Gibt es Produkteigenschaften, Markenwerte, die man gerade durch diese Dreidimensionalität gut vermitteln kann?

Lutz Nebelin: Wertigkeit und Innovation sind zwei wichtige Eigenschaften. Dabei ist es natürlich entscheidend, dass der Werbeartikel zur wichtigsten Kommunikationsbotschaft des Events passt.

Was unterscheidet den Werbeartikel generell von anderen Marketingtools? Was sind seine spezifischen Stärken?

Lutz Nebelin: Ein guter Werbeartikel verstärkt die Eventerfahrung. Er kann auch noch viel später eine positive Erinnerung herstellen und eine Markenpräferenz oder sogar eine Kaufentscheidung beeinflussen.

Kann ein Werbeartikel der Star der Live-Kommunikation sein oder läuft er eher unter ferner liefen?

Lutz Nebelin: Im Briefing taucht der Werbeartikel oft nur in einem Halbsatz auf: … und bitte denken sie auch an ein Giveaway. Das ist die Pflichtaufgabe, die man erledigen muss, wenn die Idee steht. Einen Pitch gewinnt man damit nicht. Es sei denn, der Werbeartikel ist ein wichtiger konzeptioneller Baustein in der Gesamtdramaturgie. Doch das ist eher die Ausnahme. In den meisten Fällen ist er kein Solitär, sondern eine Pflichtübung – auch wenn mehr Potenzial in ihm steckt.

Wie setzt Ihre Agentur Werbeartikel ein?

Lutz Nebelin: In der Regel als Giveaway. Allerdings muss man in Zeiten von Compliance darauf achten, dass sich der „Werbeartikel zum Mitnehmen“ im richtigen rechtlichen Rahmen bewegt. Das schränkt uns ein wenig ein. Aber man kann den Werbeartikel auch schon im Vorfeld eines Events – als „thematische Beigabe“ und emotionale Aufladung zur Einladung – einsetzen. Denn hier beginnt schon der Spannungsbogen eines guten Events.

Was macht einen erfolgreichen Eventartikel für Sie aus?

Lutz Nebelin: Ein gut gewählter Werbeartikel kann z.B. Exklusivität vermitteln, kann ein Erkennungszeichen unter Eingeweihten sein. Die Zeiten, in denen man auf allen Events Kappen mit Monsterbranding verteilt hat, sind vorbei. Heute zählen Qualität, ein dezentes Branding und ein kreatives Produkt, das sich von anderen unterscheidet. Das Zauberwort heißt hier Nachnutzung. Wer einen Werbeartikel behält und weiter nutzt, ist schon zum Freund oder Fan der Marke geworden. Das sollte immer das Ziel beim Einsatz von Werbeartikeln sein.

Mut zu überraschenden Lösungen: In einer Großdemo zogen zahlreiche CO2-Moleküle durch die Essener Innenstadt. Mit ironisch-plakativen Schildersprüchen wie „CO2-Stopp – nein danke“, „Baut mehr Autobahnen!“ oder„Mehr CO2 für den Regenwald“ protestierten sie gegen ihre Abschaffung und das Energiesparen. Promotoren mit Gummikeulen waren ihnen auf der Spur. Hinter der Guerilla-Aktion steckte das Solarenergieunternehmen Solon SE.

Können Sie dazu ein konkretes Beispiel nennen?

Lutz Nebelin: Für Mercedes-Benz haben wir eine Veranstaltung zum Thema Eco Drive entwickelt. Im Mittelpunkt stand das umweltbewusste Fahren. Um dieses Thema in Bilder zu übersetzen haben wir so genannte Ecospheren aufgebaut. Das sind in sich geschlossene Miniatur-Ökosysteme, in denen Pflanzen und Lebewesen ohne jeglichen Eingriff von außen jahrelang existieren können. Denn sie verwenden zum Leben ihre eigenen Stoffe und verschmutzen ihre Umwelt nicht. Als Werbeartikel haben wir allen Besuchern eine Miniatur-Ausgabe dieses sich selbst versorgenden Aquariums mitgegeben. Der große Vorteil dieses Produkts: Es wird unmittelbar mit der Botschaft des Events in einen Sinnzusammenhang gebracht.

Setzen Sie auch Sonderanfertigungen ein?

Lutz Nebelin: Beim Börsengang der Post haben wir seinerzeit einen gelben Bullen eingesetzt, der von einem Künstler gestaltet worden ist. Mehr als hundert große Exemplare wurden vor der Börse in Frankfurt, vor ausgewählten Banken und an Straßen und Plätzen positioniert, die analogen Miniaturausgaben waren bei der Post erhältlich. Da die Aktie seinerzeit als Volksaktie geclaimt wurde, wurden die Bullen auch in großer Stückzahl produziert, so dass sich der Werkzeugbau für diese Sonderanfertigung gerechnet hat.

Sie haben gesagt: Wer einen Werbeartikel behält, wird zum Fan der Marke. Welche „Devotionalien“ findet man bei Ihnen zu Hause?

Lutz Nebelin: Als wir seinerzeit Mercedes-Benz als Gruppe gewonnen haben, da wurde intern allen Chefs ein Mercedesstern an einem Lederband überreicht. Ich habe ihn mir zwar nicht umgehängt und mit stolzer Brust getragen, aber aufbewahrt. Denn so einen Fetisch schmeißt man einfach nicht weg.

// Mit Lutz Nebelin sprach Andrea Bothe.

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