Mit der Fackel in der Hand halten die Maskottchen der Olympischen Spiele Einzug in die Hall of Fame. Die Glücksbringer der Wettkämpfe haben sich einen Ehrenplatz redlich verdient, geben sie dem sportlichen Megaevent doch ein persönliches und unverwechselbares Gesicht und sorgen für einen beträchtlichen finanziellen Mehrwert.


Als der letzte Stahlträger für das Londoner Olympiastadion gegossen wird, fallen zwei Stahltropfen zu Boden. Ein Mitarbeiter steckt das erkaltete Material in seine Tasche, nimmt es mit nach Hause und kreiert daraus zwei futuristische Figuren, die er seinen Kindern schenkt. Beim Spielen auf dem Dachboden erwacht das Duo plötzlich zum Leben – Wenlock und Mandeville, die beiden Maskottchen der Olympischen Sommerspiele 2012 in London sind geboren. Erzählt wird die Geschichte in einem knapp vierminütigen Animationsfilm, der auf einer Erzählung des Kinderbuchautors Michael Morpurgo basiert.
Seit 1972 sind Maskottchen fester Bestandteil der Olympischen Sommer- und Winterspiele. Sie verkörpern das offizielle Erscheinungsbild der Wettkämpfe, wecken vor allem beim jungen Publikum Emotionen und sorgen als Merchandiseartikel für zusätzliche Einnahmen. 15 Millionen englische Pfund, umgerechnet 17,4 Millionen Euro, erhoffen sich die Londoner Veranstalter dieses Jahr durch den Verkauf der beiden Werbeträger. Insgesamt sollen sogar bis zu 80 Millionen Pfund mit Fanartikeln eingenommen werden.
Darüber hinaus agieren die Maskottchen als Repräsentanten des Landes, in dem die Spiele stattfinden, was in der Vergangenheit zu einer immer symbolträchtigeren Aufladung der
Figuren geführt hat. Auch bei den beiden englischen Glücksbringern ist dies der Fall. Während ihre Entstehungsgeschichte mit dem neu errichteten Stadion verknüpft ist, verweisen ihre Namen auf die olympische und paralympische Historie Großbritanniens: Wendlock geht zurück auf die Kleinstadt Much Wenlock, in der seit 1850 jährlich sportliche Wettkämpfe ausgetragen werden, die als einer der Vorläufer für die modernen olympischen Spiele gelten. Mandeville vertritt die Paralympics und erinnert an die Stoke Mandeville Games, die der deutsche Neurochirurg Dr. Ludwig Guttmann 1948 ins Leben rief, der ehemalige Soldaten mit Rückenmarksverletzungen behandelte.

Der Vater aller Olympia-Maskottchen: Dackel Waldi.

Die Tendenz, Maskottchen als Fantasiegestalten zu kreieren und gleich mehrere von ihnen ins Rennen zu schicken, führte allerdings nicht immer zu einem Marketingerfolg. Izzy, das Geschöpf der Sommerspiele 1996 in Atlanta, wurde vom Publikum auf die hinteren Plätze verwiesen, woran auch nachträgliche Modifikationen am Erscheinungsbild nichts ändern konnten. Athena und Phevos, die als Imageträger der Olympischen Sommerspiele 2004 in Athen antraten und antiken Puppen nachempfunden waren, sorgten mit ihren klobigen Füßen und langen Hälsen ebenfalls für Spott.
Großen Anklang hingegen fand Dackel Waldi, der die Sommerspiele 1972 in München als erstes offizielles Maskottchen begleitete. Der deutsche Typograph und Designer Otl Aicher entwarf den kurzbeinigen Hund – damals eines der beliebtesten Haustiere in Bayern – und stattete sein Fell in den Farben der Spiele aus. Auch ohne symbolträchtigen Namen und spannende Hintergrundgeschichte avancierte Waldi schnell zum beliebten Souvenir und war buchstäblich bekannt wie ein bunter Hund. Als Plüschtier, Spardose, Anstecknadel und Schlüsselanhänger sowie in unterschiedlichen Materialien von Holz über Textil bis Kunststoff und sogar mit Rollschuhen an den kurzen Dackelbeinen eroberte er die Herzen der Olympiafans.
Braunbär Mischa schaffte es einige Jahre später als Repräsentant der Sommerspiele 1980 in Moskau sogar auf eine Briefmarke und ins All. Die Wahl war auf Meister Petz gefallen, nachdem das Olympiakomitee die russische Bevölkerung dazu aufgefordert hatte, Vorschläge für das Maskottchen einzusenden.
2014 geht es für die Olympioniken erneut nach Russland und auch dieses Mal durften die potenziellen einheimischen Käufer der Merchandiseartikel selbst entscheiden. In einer Fernsehshow wählten Zuschauer Schneeleopard, Eisbär und Hase ins Team der Maskottchen 2014.
Ob winterliches Dreiergespann, futuristisches Duo, pelziges Nationalsymbol oder bunter Hund – welche Maskottchen zu Siegertypen werden, beim Publikum Begeisterungsstürme hervorrufen und als massenkompatible Werbeträger neue Rekorde aufstellen, bleibt wie die sportlichen Wettkämpfe bis zum Schluss spannend. Mögen die Spiele beginnen …

// Jasmin Oberdorfer

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