Inzwischen weiß es jeder: Kaufentscheidungen werden oft unbewusst getroffen. Aber wie erreicht man das Unterbewusstsein der Konsumenten? Die Hirnforschung hat durch faszinierende Erkenntnisse die Basis für eine Antwort geliefert. Aber diese Ansätze müssen psychologisch weiterentwickelt werden, um für das Marketing brauchbar zu sein. Der Neuropsychologe Christian Scheier erklärt im Gespräch, wie man subtile Botschaften ans Unterbewusstsein sendet und warum die Haptik ein wichtiger Vermittler von Markenwerten ist.

Haptica 761 - Haptische Werbung ist glaubwürdiger

Neuere Untersuchungsmethoden gestatten einen Blick ins Gehirn, also in ein System der Steuerung unserer Wünsche und Handlungen, das uns oft unbewusst bleibt. Für Werber sind das faszinierende Aussichten, aber der Weg von der Wissenschaft in die Praxis ist weit. Inwieweit kann das Marketing von der Hirnforschung profitieren?

Christian Scheier: Der funktionellen Magnetresonanztomografie verdanken wir wesentliche Einsichten in die Struktur unserer Wahrnehmungen und Entscheidungen. Aber der Fokus auf die Methodik führt oft zu einer falschen Einschätzung der Möglichkeiten. Es reicht nicht aus, den Konsumenten in einen Hirnscanner zu schieben – es kommt darauf an, die Prinzipien zu identifizieren, die einer Kaufentscheidung zugrunde liegen.

Welche Prinzipien sind das?

Christian Scheier: Es gibt zunächst zwei Hebel, an denen man ansetzen kann: Beim Markenversprechen, das das Belohnungszentrum aktiviert, oder beim Preis, für den im Gehirn das Areal für Schmerzempfindung zuständig ist. Man muss sich klarmachen, dass sich das Gehirn nicht mit jeder Generation weiterentwickelt, sondern über Strukturen verfügt, die 50.000 Jahre alt sind – die also aus einer Zeit stammen, in der es noch keinen Konsum gab. Es gibt im Gehirn keine Region für Kaufentscheidungen, sondern solche Situationen werden von einem neuronalen Netzwerk gesteuert, das aus der Vorzeit des Menschen stammt. Wenn wir uns den Preis eines Produktes vergegenwärtigen, steht der Aspekt des Verlusts, des Hergebenmüssens im Vordergrund. Wir streben dann eine Schmerzvermeidung bzw. eine Schmerzverringerung an. Entgegen landläufiger Meinung ist es daher sinnvoll, bei der Produktaufreihung eines Herstellers mit dem höchsten Preis zu beginnen. Das steigert die Akzeptanz der billigeren Produkte. Meistens wird das Preiswissen der Konsumenten völlig überschätzt. In der Regel gehen sie von einigen wenigen Referenzpreisen aus. Das Gehirn trifft nur wenige absolute Entscheidungen, sondern urteilt meistens im Vergleich. Für Käufer, die sich am Preis orientieren, kann man daher leicht einen günstigen Bezugsrahmen herstellen, indem man mit dem teuersten Produkt als Anker beginnt. Die Waren müssen oft nicht billig, sondern nur billiger sein. Dann lässt das Schmerzempfinden nach, und diese Erleichterung kann zum Kaufimpuls werden. Es ist eine Illusion, sich preisbewusste Kunden als völlig rational vorzustellen. Preise z.B., die auf einem glänzenden Untergrund gedruckt sind, werden als hoch eingestuft, denn wir assoziieren Hochglanzpapier mit teuer. Aber auch wenn es Gestaltungsspielräume gibt, die das Preisempfinden beeinflussen, ist dieser Ansatz nicht zu empfehlen. Die Preisspirale macht nicht nur die Margen kaputt, sondern provoziert auch illoyales Kundenverhalten.

Es ist also sinnvoller, auf das Belohnungssystem zu setzen?

Christian Scheier: Auf jeden Fall. Hier befinden sich die Honigtöpfe des Marketings. Das, was das Gehirn belohnt, lässt sich in drei Begriffscluster fassen. Einmal ist das Sicherheit, z.B. soziale oder finanzielle. Das zweite ist Neues wie Erregung oder Kreativität. Und das Dritte ist Autonomie, zu der Hierarchiebewusstsein, Aufstiegswille und der Wunsch, die Dinge im Griff zu haben, gehören. Wenn wir die Erkenntnisse der Hirnforschung für das Marketing nutzbar machen wollen, müssen wir – mit Hilfe der Kognitionspsychologie und Neuroökonomie – von der neurologischen auf eine psychologische und kulturelle Beschreibungsebene kommen. Nur so gelingt es uns, Belohnungserwartungen durch implizite Signale zu wecken.

Also durch Signale, die der Konsument nicht bewusst wahrnimmt?

Christian Scheier: Ja. Die Basis dieser Erkenntnisse legte übrigens Daniel Kahnemann, der bisher als einziger Psychologe den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften erhielt. Bei der Untersuchung, wie Menschen generell entscheiden, bestimmte er zwei Instanzen, den Piloten und den Autopiloten. Aus Effizienzgründen neigt das Gehirn dazu, Abläufe quasi zu automatisieren. Das kann man sich am Beispiel des Autofahrens verdeutlichen. Wenn man lernt, Auto zu fahren, muss man sich mühsam die Bedeutung jeden Handgriffs und jeden Straßenschilds bewusst machen. Beherrscht man es schließlich, geht es wie von selbst. Um Energie zu sparen, verlagert das Gehirn Gelerntes ins Unterbewusstsein, vom Bereich des Piloten in das des Autopiloten. Unsere Wahrnehmung wird vom Autopiloten gesteuert, und das ist eine Erkenntnis, die im Marketing noch nicht ausreichend beachtet wird. Z.B. ist noch immer die Vorstellung verbreitet, das Auge funktioniere wie eine Kamera, die alles erfasst. Tatsächlich ist aber nur ein kleiner Teil der visuellen Wahrnehmung hochaufgelöst, der Rest zunehmend diffus und ohne Farbe. Wer in einem Supermarkt oder einem Werbespot Aufmerksamkeit für seine Produkte wecken will, muss durch diesen Milchglasfilter kommunizieren und dem Kunden signalisieren, dass es sich lohnt, den Blick, die Aufmerksamkeit auf sie zu richten.

Und solche impliziten Signale sprechen eines der Grundbedürfnisse nach Sicherheit, Autonomie und Neuem an?

Christian Scheier: Ja, man kann beobachten, wie Marken einer Produktgruppe diesen Bereich elementarer Sehnsüchte unter sich aufteilen. Ein Beispiel aus der bekannten Bierwerbung zeigt die unterschiedlichen Belohnungsprofile: Becks warb mit einem Segelschiff auf dem Meer, und dieses Motiv des Aufbruchs und des Abenteuers passte zu der Zielgruppe überwiegend junger Konsumenten, die sich vom Elternhaus ablösen und nach Neuem streben. Jever zeigte einen Mann in einsamer Dünenlandschaft, ein Bild herber Männlichkeit, das für Unabhängigkeit steht. Bei Krombacher sah man einen von Wäldern umgebenen See, der durch seine Begrenztheit und Umschlossenheit Empfindungen von Harmonie und Geborgenheit evoziert. Bei den Automarken steht BMW für die erregenden Aspekte des Fahrens, Mercedes wie auch Audi („Vorsprung durch Technik“) für Autonomie, und Volkswagen für eine Solidität, mit der man sicher ist. Für ein erfolgreiches Markenmanagement ist es wichtig festzustellen, welche Belohnungserwartungen ihre Kunden haben, und dann zu überlegen, mit welchen impliziten Codes diese Belohnungswerte aktiviert werden können. Dabei muss man jedoch zwischen der Bedeutung solcher codierten Signale und den Signalen selbst unterscheiden. Bei der Bedeutung, also dem Belohnungsaspekt, ist Konstanz wichtig, bei den Signalen Variabilität. In der Werbung für das Duschgel von Axe geht es um einen jungen Mann, der ein tolles Mädchen erobert. Es wird immer dieselbe Geschichte erzählt, aber in immer neuen Bildern.

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Welche Bedeutung hat die Haptik für diese codierte Vermittlung von Belohnungswerten?

Christian Scheier: Die Haptik ist bei der Differenzierung und Stärkung von Marken ein wesentlicher Treiber. Das beginnt schon bei der Verpackung: Der Behälter des Duschgels von adidas für Männer erinnert an einen Behälter mit Motorenöl – der Vitalisierungseffekt der Dusche wird durch die Assoziation eines Neustarts vertieft. Durch eine solche unbewusst vermittelte Analogie zu ganz anderen, aber dennoch artverwandten positiven Erfahrungen kann der spezifische Belohnungscharakter intensiviert werden. Wrigley’s bietet Kaugummis in einer Art Pillendose an, die das Wirkungsversprechen, gut für die Zahnpflege zu sein, unterstützt.

John Bargh von der Universität Yale hat mit seinen Studien gezeigt, wie sinnliche Wahrnehmungen eine mentale Voreinstellung bewirken können. Jemand, der auf einem harten Stuhl sitzt, verhandelt härter als einer, der bequem sitzt. Probanden, die in einem Bewerbungsgespräch darüber entscheiden sollten, ob ihr Gegenüber eingestellt würde, wurde vorher eine heiße Tasse Kaffee oder ein kaltes Glas Cola in die Hand gedrückt. Das Ergebnis war erstaunlich eindeutig: Die Berührung eines warmen Gegenstandes macht warmherziger und wohlwollender, die Empfindung von Kälte dagegen kühler und distanzierter. Und es gibt den Besitztumseffekt: Von etwas, das man in der Hand gehalten hat, trennt man sich schwerer als von dem, das man nur angesehen hat.

Das spricht für das Wirkungspotential haptischer Werbung?

Christian Scheier: Unbedingt. Für den Autopiloten gilt: Je tangibler, also berührbarer etwas ist, desto überzeugender wirkt es. Die Haptik ist ein außerordentlich wichtiger Kommunikationskanal. Für das Marketing ist das Gold wert, denn so lassen sich Markenwerte in eindringlicher Weise erlebbar machen. Werber neigen oft dazu, sehr viel zu claimen, aber die Hirnforschung zeigt, dass sich über die haptische Werbung etwas viel glaubwürdiger und auch differenzierter vermitteln lässt. Allerdings müssen Werbeartikel semantisch passen. Offenheit z. B. ist eine beliebte Selbstcharakteristik von Unternehmen, aber viel subtiler und wirkungsmächtiger als eine bloße Behauptung ist es, diese Aussage z. B. über eine aufklappbare Postkarte zu transportieren. Indem der Empfänger die Botschaft selber entfalten und sich in mehreren Perspektiven erschließen kann, erlebt er nicht nur Offenheit, sondern ist an diesem Vorgang auch selbst aktiv beteiligt, was den Lernprozess beschleunigt und intensiviert. Ein anderes Beispiel ist das Papiergewicht bei Mailings: Ein schwereres, also höherwertiges Papier ruft die Vorstellung von Qualität hervor, die auch auf den Inhalt übertragen wird. Solche Reaktionsmuster lassen sich durch Responseraten klar belegen.

Dennoch hat man manchmal den Eindruck, dass sich die Effizienz haptischer Werbung unter den Werbern noch nicht so ganz herumgesprochen hat.

Christian Scheier: Das liegt vor allem an einem Missverständnis, das auch in der Politik weit verbreitet ist: Dass sich Verhaltensänderungen nur durch einen grundlegenden Wandel der Einstellungen erreichen lassen. Wissenschaftliche Studien zeigen aber ein ganz anderes Bild – unser Verhalten lässt sich nicht nur durch Überzeugungsarbeit, sondern auch durch den alltäglichen Kontext steuern. Um z.B. Kinder zu einer gesunden Ernährung zu motivieren, sind nicht große Informationsveranstaltungen und Broschüren notwendig, sondern es reicht bereits aus, am Eingang der Schulkantine Gemüse zu präsentieren. Wenn wir hungrig sind, greifen wir oft zu dem, was wir als erstes sehen. Ebenso effektiv ist, gesunde Milch in Reichweite zu stellen, während Schokoladenmilch nur auf Nachfrage zu erhalten ist. Solche kleinen Änderungen bewähren sich übrigens auch bei der Hygiene in Männertoiletten: Wenn eine Fliege in das Urinal geklebt wird, erhöht sich die Zielgenauigkeit erheblich.

Oft führen kleine Schritte in die richtige Richtung. Aber viele glauben noch immer, nur durch aufwendige Werbekampagnen könne man die Konsumenten erreichen. Dabei wird völlig unterschätzt, wie wirkungsvoll ein Nudging, ein leichtes, aber wiederholtes Anstubsen ist. Werbeartikel sind solche Nudges, die durch ihre gegenständliche Präsenz und Trägerkraft immer wieder die Werbebotschaft aktivieren. Es kommt darauf an, der Marke eine unaufdringliche, aber kontinuierliche Wahrnehmung zu verschaffen. Daher ist es sehr sinnvoll, Werbekampagnen durch haptische Werbung zu verstärken und in den Alltag der Konsumenten zu verlängern.

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// Mit Dr. Christian Scheier sprach Irene Unglaube.

 

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