Das Dialogmarketing kennt viele Kanäle. Um sich jedoch in der gestiegenen Informationsflut zu behaupten, braucht es einen kreativen Einfall. Erik Backes, Executive Creative Director Wunderman Frankfurt, über die erste Person Singular-Perspektive bei der Entwicklung von Kampagnen, gebrandete Pommesschalen und ein Plektrum im Portemonnaie.

schwarzmalerei - „Einer guten Idee ist es egal, wo sie exekutiert wird“

Das Mailing „Schwarzmalerei vom Feinsten” setzt die Range Rover Sport Black Edition haptisch und hochwertig in Szene.

Wunderman hat beim Deutschen Dialogmarketing Preis zum wiederholten Mal den Titel „Agentur des Jahres“ geholt. Herr Backes, was machen Sie anders als andere Agenturen?

Erik Backes: Ich weiß nicht, ob es das ist, was uns von anderen Agenturen differenziert, aber wir sind extrem konsequent in unserer Herangehensweise. Und diese besteht darin, uns so tief wie möglich in den Verbraucher hineinzuversetzen. Wenn wir eine neue Kampagne entwickeln, dann immer aus der ersten Person Singular-Perspektive. Es hilft niemandem,
wenn wir den Kunden zur Marke prügeln, er muss freiwillig und vor allem gerne dorthin gehen. Aus dieser Philosophie heraus entstehen die besten Kampagnen. Außerdem ist es wichtig, dass man Spaß an der Sache hat – und damit meine ich nicht nur die Agentur. Der Auftraggeber sollte ebenfalls Spaß an der Kampagne haben und stolz darauf sein.
Dann hat man die Chance, auch den Verbraucher zu überzeugen.

Im Marketing-Mix ringen die einzelnen Disziplinen immer wieder um ihre Bedeutung. Manch ein Kanal wird totgesagt, ein anderer in den Himmel gelobt. Ist das für Sie eine relevante Diskussion?

Erik Backes: Einer guten Idee ist es völlig egal, wo sie exekutiert wird. Z.B. sollten wir für Lufthansa vor einigen Jahren das erweiterte Streckennetz ab Berlin promoten und dabei speziell die jüngere Zielgruppe ansprechen. Dazu brachten wir zusammen mit Street Art-Künstlern verschiedene Aktionen auf den Weg: großflächige Out-of-Home-Inszenierungen, Lightshows, Streetpromotions und Mailings – darunter auch gegenständliche Werbeträger wie Mousepads, Notizbücher oder gebrandete Pommesschalen. Das Ganze war ein großer Erfolg. Und warum? Nicht die spezielle Visualisierung überraschte, sondern der Absender. Von einer Fluglinie wie Air Berlin hätte man so etwas erwartet, von Lufthansa eher nicht, und genau deshalb konnten wir so viel Aufmerksamkeit und Publicity generieren. Wenn also die originäre Idee trägt, dann lässt sich diese mit entsprechenden Anpassungen in die verschiedenen Kanäle übertragen.

spray - „Einer guten Idee ist es egal, wo sie exekutiert wird“

Im Rahmen der Kampagne „Willkommen an der Spray“ verschickte Wunderman an zugezogene Neuberliner eine Spraydose mit individualisierter Namensschablone, um ihr neues Revier zu markieren.

Was braucht eine Dialogkampagne noch, um erfolgreich zu sein?

Erik Backes: Wichtig ist, dass man von Anfang an kooperativ an die Aufgabe herangeht. Jeder sollte zu Wort kommen: die Agentur, der Kunde und der Verbraucher. Co-Creation statt Silodenken. Darüber hinaus ist es entscheidend, wie man die Kampagne kommunikativ aufzieht. Viele Marken setzen Statements. Wenn ich jedoch ein Gespräch führen möchte, dann bin ich gut beraten, wenn ich auch einmal eine Frage stelle, schweige oder Dinge offen lasse. Das fördert den Dialog. Am Ende brauche ich für eine gute Dialogkampagne immer ein Sprungbrett.

In welcher Form kann der Verbraucher miteinbezogen werden?

Erik Backes: Viele Unternehmen und Agenturen gehen immer noch sehr taktisch an den Dialog heran: Der erste Stein, den sie werfen, ist ein Markenstatement. Dank Social Media lässt sich Dialogmarketing inzwischen aber auch anders einsetzen, z.B. zum Crowdsourcing. Das heißt, ich generiere zunächst Insights und finde heraus, was der Verbraucher zu einem bestimmten Thema, Produkt oder Ereignis denkt. Und erst danach folgt der zweite Schritt wie z.B. eine neue Produktentwicklung oder die eigentliche Kampagne.

Bei den Consumer Insights sind wir schon mitten im Thema CRM. Ihr CCO Martin Riesenfelder sprach jüngst von einem CRM-Revival. Wie lassen sich Kunden und Beziehungen ideal managen?

Erik Backes: Es gibt Stimmen, die behaupten CRM stünde nicht für Customer Relationship Management, sondern für Customer Really Manages. Meiner Ansicht nach ist da viel Wahres dran: In weiten Teilen hat der Verbraucher die Macht an sich gerissen. Deshalb bedeutet gutes CRM für mich, dass man sich als Unternehmen auf die Bedürfnisse des Verbrauchers einlässt und nicht umgekehrt. Die meisten CRM-Programme, die wir heute kennen, sind jedoch sehr quantitativ angelegt und lassen die Qualität einer Kundenbeziehung noch viel zu sehr außer Acht. Bei Payback, Miles & More, Topbonus u.v.a. wird der Wert eines Kunden, ebenso wie Programminhalte und Programmmechanik, ausschließlich durch Umsätze definiert.

Was ergibt sich daraus?

Erik Backes: Ich gebe Ihnen ein plakatives Beispiel: Wenn ich in London arbeite und von dort aus Kunden auf der ganzen Welt betreuen möchte, bleibt mir kaum etwas anderes übrig, als mit British Airways zu fliegen. Denn keine andere Airline bringt mich von dort aus schneller, besser und vermutlich auch preisgünstiger zu meinen Zielen. Mit Loyalität hat das aber nichts zu tun. Dieses Beispiel ist eine schöne Blaupause dafür, dass der quantitative Ansatz eben nicht das leistet, wofür CRM eigentlich gedacht ist, nämlich herauszufinden, wie der Kunde zu meiner Marke steht und was ich ihm anbieten muss, um letzten Endes aus Überzeugung mehr Umsatz zu generieren.

Wie ließe sich die Kundenbeziehung besser gestalten?

Erik Backes: Es geht um die Frage: Was ist ein wirklicher Akt von Loyalität? Und daran anschließend: Was kann ich incentivieren? Z.B. gibt es viele Menschen, die sich aktiv von der Kommunikation beeinflussen lassen, die als Markenbotschafter auftreten, Produkte und Unternehmensseiten liken und entsprechende Statements posten. Das ist ein wahrer Akt von Loyalität und somit als Ansatz für CRM spannend. Allerdings tun sich viele Unternehmen schwer damit, so etwas in einen finanziellen Wert zu übersetzen. Bislang arbeiten die meisten Unternehmen mit dem immer gleichen Mechanismus: Einem bestimmten Verkaufswert wird ein Bonuswert entgegengestellt. Das ist das alte Rabattmarkensystem, doch damit manage ich keine Kundenbeziehung. Hinzu kommt, dass die meisten Verbraucher gleich mehrere Karten im Portemonnaie haben. So besitzen russische Frauen zwischen 25 und 45 Jahren im Durchschnitt sieben Loyalitätskarten, die sie mindestens einmal in der Woche benutzen. Da frage ich mich natürlich: Ist das Loyalität oder knallharter preisgetriebener Verdrängungswettbewerb?

Was bedeutet der Fokus auf Qualität für Ihre Arbeit als Dialogagentur?

Erik Backes: Um an Einstellungen anzusetzen und Verhalten zu generieren, arbeiten wir mit einer Mixtur aus soziodemographischen und qualitativen Daten, bei denen auch das limbische System eine Rolle spielt. Da es dabei einen gewissen Interpretationsspielraum gibt, machen wir Testläufe, bevor wir eine Maßnahme in der breiten Masse rausschicken. Die daraus resultierenden Verkäufe geben uns dann weitere Aufschlüsse über die Zielgruppen. Es geht also um die stetige Anreicherung des Datensatzes und um die Kunst, daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen.

Viele Dialogmaßnahmen werden heute nicht mehr offline, sondern online gespielt. Ist das klassische physische Mailing heute noch relevant?

Erik Backes: Die Standardansprache hat sich ins Netz verlagert. Damit ist gleichzeitig eine Nische entstanden: Wenn ich im wahrsten Sinne des Wortes einen Touchpoint zum Verbraucher kreieren will, dann spreche ich ihn offline an. Am Briefkasten muss er mein Mailing in die Hand nehmen, und dieser physische Berührungspunkt ist nicht zu unterschätzen. Daneben gibt es Themen, da kommt man an offline nicht vorbei. Z.B. stellt eine Premiummarke wie Jaguar Land Rover Produkte her, die sehr stark über ihre physische Präsenz und ihre Materialien wirken. Da bietet sich eine haptische Inszenierung in vielen Fällen an.

In welchen Bereichen setzt Ihre Agentur gegenständliche Werbeträger ein?

Erik Backes: Ich würde es andersherum formulieren: Es gibt keine Bereiche, in denen wir Werbeartikel per se ausschließen würden. Auch in der eigenen Kommunikation setzen wir sie häufig ein. Als Mitarbeiter- und Kundenpräsent gibt es in diesem Jahr z.B. Wunder Mucke – das ist ein gebrandeter Mini-Lautsprecher, der einen erstaunlich guten Sound produziert.

Wie lassen sich gegenständliche Werbeträger effektiv in die Kommunikation einbinden?

Erik Backes: Ich finde es interessant, wenn der Werbeartikel als Brücke zum nächsten Touchpoint fungiert. Dazu ein Beispiel: Vor vielen Jahren sollten wir für den Telekommunikationsanbieter Arcor Gesprächstermine mit größeren mittelständischen Unternehmen generieren. Da das Thema Telefondienstleister bei der Zielgruppe naturgemäß nicht ganz oben auf der Agenda steht, mussten wir uns etwas Besonderes einfallen lassen. Als kommunikativen Anstoß nutzten wir die DTM, bei der Arcor damals Hauptsponsor war, und verschickten an alle Adressaten eine Fernbedienung. Dazu die Information: Den passenden Rennwagen bringt der Außendienstmitarbeiter mit. Mit der Aktion haben wir eine Responserate von annährend 100% erzielt. Auch limitierte Werbeartikel wie eine Sonderedition eines adidas T-Shirts können große Begehrlichkeiten auslösen. Und natürlich lassen sich auch aus Standardartikeln Trophäen machen, etwa indem ich den offiziellen WM-Ball Brazuca von der deutschen Nationalmannschaft unterschreiben lasse.

Setzen Sie auch Sonderanfertigungen ein?

Erik Backes: Ich würde schätzen, dass rund 50% unserer Werbeartikel Sonderanfertigungen sind. Z.B. haben wir für den Logistikdienstleister DHL und sein Produkt Easy Germany einen Miniatur-Einkaufswagen anfertigen lassen. Unter dem Motto „Germany for Sale“ wurde dieser an niederländische Online-Shops verschickt, um DHL als Kooperationspartner im deutschen Markt zu positionieren.

Kann der Werbeartikel auch der Solitär einer Kampagne sein?

Erik Backes: Die Kommunikation kann sich durchaus auf den Werbeartikel beschränken, wenn dieser organisch mit der Idee zu tun hat. Für Lufthansa UK haben wir einmal einen solchen Solitär entwickelt. Ziel der Aktion war es, Sonderpreise für Flüge von England nach Deutschland zu promoten. Dazu haben wir an dem typischen Missverhalten deutscher Urlauber als Liegestuhlreservierer angesetzt. Wie sah also die Kommunikation aus? Wir haben Handtücher in Schwarz- Rot-Gold verteilt. Und auf diesen stand: Strike back! Visit Germany. Die Briten haben diese Aktion geliebt.

Sie sprachen davon, dass sich die haptische Inszenierung bei bestimmten Marken bzw. Kampagnen geradezu anbietet. Haben Sie ein Beispiel dafür, wie man einen Werbeartikel als Produktmetapher einsetzen kann?

Erik Backes: Unser Mailing „Schwarzmalerei vom Feinsten“ ist dafür ein gutes Beispiel. Um die limitierte Range Rover Black Edition zu bewerben, verschickten wir an 500 potenzielle Käufer ein Mailing mit Federhalter und drei Tintenfässchen in verschiedenen Schwarztönen. Damit schlugen wir zwei Fliegen mit einer Klappe. Erstens konnten wir das Thema Black Edition gegenständlich übersetzen. Zweitens gelang es uns mit dem Federhalter, ein besonders haptisches und hochwertiges Schreiberlebnis zu kreieren, das auch dem Markenanspruch gerecht wurde. Bei einer anderen Aktion sollten wir für die Marke Range Rover Luxus dokumentieren. Also suchten wir nach einem Alltagsgegenstand, den wir in irgendeiner Form erhöhen konnten. Das Ergebnis war eine Parkscheibe aus blauem Leder.

Wir haben viel über die Kreation von gegenständlichen Werbeträgern gesprochen. Nutzen Sie selbst auch Werbeartikel, haben Sie vielleicht sogar ein Lieblingsstück?

Erik Backes: Ein Giveaway trage ich tatsächlich immer bei mir, und das ist ein Plektrum von Hagström. Für den Fall, dass ich unterwegs bin und eine schöne Gitarre sehe, habe ich dieses Plektrum immer im Portemonnaie. Dazu erzählt der Werbeartikel eine Geschichte: Hagström ist eine Marke, die im Vintagebereich unterwegs ist, und das Plektrum ist aus Perloid – einem Material, das vor allem in den 1960er Jahren viel für Gitarren und Schlagbretter benutzt wurde. Der Werbeträger verkörpert also recht gut die Produktphilosophie, und das obwohl es nur 2 bis 3 cm2 groß ist. Also eigentlich alles richtig gemacht. Dennoch würde ich mir niemals eine Hagström-Gitarre kaufen – und damit wären wir dann wieder am Anfang unseres Gesprächs.

// Mit Erik Backes sprach Andrea Bothe.

www.wunderman.de

Bildquelle: Wunderman GmbH

 

 

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