Kaum eine andere Marketingdisziplin kann die Begegnung von Marke und Mensch so unmittelbar, emotional und sinnlich formen wie die Live-Kommunikation. Andreas Christophe, General Manager bei BBDO Live, über phantastische Live-Momente, freie Kommunikationskanäle bei verstopften Toiletten und haptische Gipfelstürmer.

h9 bbdo slider - „Vieles bewegt sich wieder in haptischen Bahnen“

Für Intendis, ein Unternehmen, das sich auf Dermatologieprodukte spezialisiert hat, entwickelte BBDO Live eine Ausstellung mit interaktiven Exponaten, mit denen spielerisch und vielfältig der Tastsinn angesprochen wurde.

Herr Christophe, laut einer FAMAB-Studie aus dem vergangenen Jahr ist die direkte Wirtschaftskommunikation – darunter Messebeteiligungen, Events, Kongresse und Showrooms – nach der klassischen Werbung das zweitwichtigste Kommunikationsinstrument für deutsche Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitern. Was kann die Live-Kommunikation?

Andreas Christophe: Nichts geht über das eigene Erleben und die eigene Erfahrung. Wenn ich eine Person aus der Zielgruppe der 16- bis 25-Jahrigen frage, ob sie sich einen Film über das Phantasialand ansehen möchte oder selbst auf dem Roller Coaster fahren will, dann wird relativ schnell klar, welche Disziplin echte Emotionen auslöst. Sprechen wir also über die Intensität einer Werbewirkung, dann ist die Live-Kommunikation das Mittel der Wahl.

Gleichzeitig steigen jedoch auch die Investitionen in den Online-Bereich …

Andreas Christophe: Auch das kommt uns zugute. Denn wenn jemand z.B. ein Erlebnis in den Social Media-Kanälen teilen will, setzt das voraus, dass irgendjemand etwas erlebt hat. Sprich: Das Storytelling ergibt sich oft aus einer realen Situation, die wir konzipieren und organisieren, und die dann über Bilder und virale Spots digital verbreitet wird. Damit ist die digitale Entwicklung fur uns eher ein Treiber. Wir stehen zwar nicht im Vordergrund, haben aber durchaus eine Daseinsberechtigung.

Im BlachReport-Kreativranking ist BBDO Live unter den TOP5. Was ist der „USP“ Ihrer Agentur?

Andreas Christophe: Viele Agenturen werben mit der 360-Grad-Kommunikation. Wenn eine Agentur jedoch nur aus 40 Mitarbeitern besteht, ist es natürlich Augenwischerei, zu behaupten, man decke ganzheitlich integrierte Kommunikation ab. Bei BBDO ist das anders: In unserem Netzwerk kann man bis in die kleinste Facette hinein jedes Expertenwissen finden, das für die Kommunikation relevant ist. BBDO ist ein One-Stop-Shop, der Kunden bei komplexen Problemen interdisziplinar berät.

So kommt besagte FAMAB-Studie auch zu dem Ergebnis, dass Events oft nur flankierendes Kommunikationsmittel sind und bei der strategischen Planung eines Unternehmens kaum eine Rolle spielen …

Andreas Christophe: Das Silodenken der meisten Eventagenturen lautet: Wir sind das letzte Glied in der Kette. Wenn die Marketingkampagne abgeschlossen ist und alles andere steht, wird die Frage nach einem Event gestellt. Doch das ist nicht unbedingt die effizienteste Vorgehensweise. Bei BBDO sitzen wir als Live-Division bei jedem Pitch mit am Tisch und geben dort schon einen Ausblick, wie man die Kampagne sinnvoll verlangern kann. Das ist ein Asset, den viele Agenturen nicht leisten können. Unter den großen Netzwerkagenturen ist BBDO meines Wissens die einzige, die sich noch eine eigene Live-Agentur leistet. Alle anderen setzen statt auf interne Lösungen auf Partnerschaften. Insofern sind wir der Highlander der Branche.

Für welche Aufgaben bietet die Live-Kommunikation adäquate Lösungen?

Andreas Christophe: Ob Live eine Rolle spielt, hängt maßgeblich vom Budget und der Komplexität der Produkte bzw. Botschaften ab. Wenn ein Unternehmen z.B. Umstrukturierungen intern kommunizieren muss, dann ist ein Brief dafür die denkbar schlechteste Lösung. Bei solchen Themen kommen Unternehmen an einer persönlichen Veranstaltung, auf der sie die Mitarbeiter abholen, informieren und aus Betroffenen Beteiligte machen, nicht vorbei. Auch im umgekehrten Falle, wenn z.B. die besten Verkäufer ausgezeichnet werden sollen, kann das nur die Live-Kommunikation und ein entsprechendes Incentive leisten.

 

Sie sprachen von komplexen Botschaften, die mittels Live-Kommunikation transportiert werden können. Haben Sie hierfür ein Beispiel?

Andreas Christophe: 2013 haben wir zusammen mit unserer Schwester Ketchum Pleon eine Kampagne fur DB Regio NRW umgesetzt. Das Ziel war es, die Sympathiewerte zu erhöhen und gleichzeitig zu erklären, warum bei der Bahn nicht immer alles glatt läuft. Dazu haben wir das Motto „Bahn Backstage“ entwickelt und die Fahrgäste hinter die Kulissen gucken lassen. Einmalig konnten wir Werkstätten, Stellwerke, Zugreinigungsanlagen und die Schaltzentrale NRW der Öffentlichkeit zugänglich machen. Oft wird z.B. über die verstopften Toiletten der Bahn geschimpft, aber kaum jemand weiß, woran das liegt. Also haben wir dieses hochtechnische Produkt, das ähnlich wie eine Flugzeug-Toilette mit Vakuumpumpe etc. funktioniert, erklärt. Daneben stand ein Regal mit Gegenständen, die bereits aus dieser Toilette gefischt wurden und sie funktionsuntüchtig gemacht haben – darunter Spielzeug, Handys, Getränkedosen und Fußball-Fanschals. Solche Bilder bleiben hängen und werden weitererzählt.

Das klingt recht interaktiv.

Andreas Christophe: Das ist genau unsere Herangehensweise: Wir moderieren die Begegnung von Marke und Mensch. Auch wir wollen Bilder im Kopf entstehen lassen, geben diese aber nicht wie z.B. die Bewegtbildkommunikation eins-zu-eins vor. Stattdessen setzen wir auf die Entwicklung und den Bau von Exponaten und damit auf die Interaktion, bei der die Teilnehmer selbst etwas entdecken können. Auf der Expo lässt sich dieser Ansatz gerade sehr schön beobachten: Der Ausstellungspavillon Deutschlands steht unter dem Motto „be active“. Vieles bewegt sich hier wieder in analogen haptischen Bahnen, z.B. kann man über ein Sprachrohr, wie man es aus U-Booten kennt, von der einen zur anderen Ebene kommunizieren.

Heißt das, die Entwicklung, digitale Elemente in die Live-Kommunikation einzubauen, ebbt ab?

Andreas Christophe: Es ist der Branche sowieso mehr schlecht als recht gelungen, digitale Tools sinnvoll in die Live-Kommunikation zu integrieren. Vieles davon war purer Aktionismus. Meiner Ansicht nach macht es keinen Sinn, physisch zusammenzukommen, um dann digital zu kommunizieren. Vieles wird in die analoge Welt zurückkehren, weil das die Erlebnisdimension ist. Das echte Erleben ist live, in Farbe, mit vollem Gefühl und allen fünf Sinnen. Das schließt natürlich nicht aus, dass man mal eine digitale Abstimmung macht oder ein digitales Exponat nutzt. Doch es muss sich in den Kontext und die Botschaft einfügen.

Dann würde ich gerne noch mal auf die Haptik zurückkommen – in welchen Bereichen setzt Ihre Division explizit auf diesen Reiz?

Andreas Christophe: Eine wesentliche Rolle spielt die Haptik im Einladungsmanagement. Hier hat sich in den vergangenen Jahren sehr viel getan: Das einfache Druckmittel wird immer seltener eingesetzt, stattdessen wird ein gebrandeter Gegenstand verschickt. Allerdings setzen uns die Compliance-Richtlinien der Unternehmen hier enge Grenzen. Diese Entwicklung hat in der Live-Kommunikation zu sehr einschneidenden Veränderungen geführt, nicht nur was die Pharmabranche betrifft, sondern auch den generellen Einsatz von Präsenten. Z.B. konnte ich für 80 Euro das Stück eine Druckeinladung verschicken, nicht aber einen Gebrauchsgegenstand, da dies ein geldwerter Vorteil wäre. Das hat nicht nur budgetäre Konsequenzen, sondern beeinflusst auch maßgeblich, wie eine Veranstaltung konzipiert und kommuniziert wird. Deshalb ist Compliance für uns das Unwort der Branche.

Gibt es dennoch Beispiele, wo die Kommunikation innerhalb dieser Grenzen gelingen kann?

Andreas Christophe: Ein schönes Beispiel, das allerdings nicht von uns stammt, ist der „Audi Test Drive Cube“. Statt eines einfachen Mailings wurde hier ein hochwertig verarbeiteter Würfel mit Original Start-Stopp-Knopf verschickt. 90 Minuten nachdem der Empfänger den Auslöser gedrückt hatte, stand ein Audi A8 für eine Probefahrt vor der Tür. Das zeigt sehr schön, wie man mit Haptik Hochwertigkeit und Wertschätzung vermitteln kann.

Was lässt sich außerdem über die Einladung transportieren?

Andreas Christophe: Normalerweise baut sich die Einladung dreiteilig auf: „Save the Date“, „Einladung“ und schließlich „organisatorische Hinweise“. Bei dieser Mechanik bietet es sich geradezu an, dreigeteilte Produkte einzusetzen. Darüber hinaus verschicken wir gerne Artikel, die auf der Veranstaltung eine Rolle spielen, wie z.B. Schlüssel oder Erkennungsmarken, wie man sie vom Militär kennt, die als personalisiertes Schmuckstück wie eine Einladungskarte fungieren. Entscheidend ist immer: Das Motto bzw. die Botschaft muss schon beim ersten Kontakt übermittelt werden. Es geht hier also nicht um Nutzwerte wie bei Giveaways, sondern um Inhalte. Ebenfalls wichtig ist die Interaktion, die eng mit der Haptik verbunden ist. Viele Einladungsverstärker, die wir nutzen, erschließen sich erst im Tun: Das kann ein Metallwürfel sein, der sich aufklappen lasst und so verschiedene Botschaften freilegt, eine Pop-up-Karte mit Schiebern oder eine Karte mit unterschiedlichen Farbfolien, die jeweils andere Wortkombinationen ergeben.

Können Sie ein Beispiel dafür geben, wie sich die Haptik auf der Veranstaltung selbst gezielt anspielen lässt?

Andreas Christophe: Im Rahmen einer exklusiven Preview für Top-Kunden, dem sogenannten Closed Room, waren wir vor einigen Jahren an der Präsentation des neuen BMW 7er beteiligt. Für diesen Auftritt haben wir massive Metallkugeln in den jeweiligen Modellfarben lackieren lassen. Diese waren in einen Hochtisch eingelassen und konnten in die Hand genommen werden, sodass die Kunden die Schwere des Metalls gespürt haben. Zudem konnten sie die Kugeln unter verschiedene Lichtquellen halten, um die jeweiligen Reflexionen der Lackierungen zu beobachten. Ganz ähnlich sind wir mit den Ledermustern verfahren, die wir um Bambusstöcke gewickelt haben, um einen gewisse Festigkeit zu erzeugen. Andernfalls bekommen die Kunden schnell das Gefühl, einen Lederlappen in Händen zu halten, den sie theoretisch auch zum Abledern ihres Autos nutzen könnten. Will sagen, wenn es um Themen wie Premium, Ästhetik oder Design geht, sollte die haptische Dimension immer explizit mitgedacht werden.

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Haptisch hochwertig und kreativ wurden in einer exklusiven Preview für Top-Kunden Lackierungen und Lederausstattungen des BMW 7er präsentiert.

Last not least sind Veranstaltungen ein klassischer Bereich für den Einsatz von Giveaways. Von welchen Überlegungen werden ihre Auswahl und ihr Einsatz geleitet?

Andreas Christophe: Bei den Präsenten geht es darum, die Botschaft, die durch die Live-Kommunikation vermittelt wird, nachhaltig zu verankern. Dem Gast soll buchstäblich etwas an die Hand gegeben werden, das ihn später immer wieder an die Veranstaltung erinnert. Dazu sollte das Produkt einen hohen Nutzwert haben. Allerdings sind die Botschaften oft so individuell, dass wir in den meisten Fallen eigene Produkte entwickeln mussten. Das scheitert jedoch allzu oft, wie bereits erwähnt, an den Compliance-Richtlinien der Unternehmen. Ein Investment von knapp 30 Euro pro Stück ist einfach zu wenig, um ein Produkt zu entwickeln, das auf die Kernbotschaft meiner Veranstaltung einzahlt. Dieser Spagat zwischen guter Kommunikation und Budgetvorgaben schränkt unsere Arbeit unglücklicherweise sehr ein. Es gibt daher kaum ein Event-Element, zu dem wir unseren Kunden mehr Vorschläge unterbreiten müssen als bei Giveaways. Und oft müssen wir dann letzten Endes auf generische Produkte zuruckgreifen.

Haben Sie dennoch ein Beispiel, wo der Spagat geglückt ist?

Andreas Christophe: Im Rahmen einer Führungskräfte-Tagung fur Volkswagen, bei der es um das Thema Netzwerken ging, haben wir einen magnetischen Kugelkubus eingesetzt. Das ist ein Würfel, der aus lauter magnetischen Kugeln besteht, die zu immer neuen Mustern zusammengefügt werden können. Das war ein relativ günstiges Tool, mit dem wir eins-zu-eins den Bogen zum Motto der Veranstaltung schlagen konnten. Dabei haben wir das Präsent bereits während der Veranstaltung angeteasert: Geschultes Personal ist in den Pausen herumgegangen und hat den Gästen gezeigt, was man mit den magnetischen Kugeln alles machen kann. Das hatte zur Folge, dass bereits auf der Abendveranstaltung jeder mit dem Gimmick am Hantieren war. Hätten wir den Würfel stattdessen erst zum Ende der Veranstaltung überreicht, wäre er entweder auf dem Hotelzimmer entsorgt oder zu Hause vielleicht ungesehen an die Kinder weitergegeben worden.

Und was lässt sich umsetzen, wenn Budgets für eigene Produktenwicklungen freigegeben werden?

Andreas Christophe: Z.B. haben wir im Rahmen einer Jubiläumsveranstaltung eines multinationalen Konzerns von allen Unternehmensstandorten Rezeptvorschläge fur Menüs zusammengetragen und daraus ein internationales Kochbuch gemacht. Das war ein sehr emotionales Präsent, das unglaublich gut ankam, weil es aus der Mitarbeiter-Community heraus entstanden ist und die Internationalität der Marke auf etwas andere Art gezeigt hat. Eine weitere Sonderanfertigung haben wir zusammen mit unseren Kollegen von Ketchum Pleon kürzlich im Rahmen des G7-Gipfels auf Schloss Elmau umgesetzt. Dabei handelte es sich um einen historischen Rucksack als Pressepräsent, auf den das G7-Gipfel-Logo und das Bayerische Staatswappen gestickt waren – vom Bund und vom Freistaat Bayern finanziert. Statt mit Clips und Kordeln lies sich der Rucksack mit Lederriemen verschliesen – im Gepäck Botschaften von Tradition, bayerischem Lebensgefuhl und landschaftlichen Reizen.

www.bbdo.de

// Mit Andreas Christophe sprach Andrea Bothe.

Bildquelle: BBDO Live

 

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