Vermeiden, Verwerten und Beseitigen – so lautet der Dreiklang, dem sich die Abfallwirtschaft verpflichtet hat. Eines der wichtigsten Kommunikationsziele: die Bürger für Sauberkeit zu sensibilisieren. Klingt nach Drecksarbeit, wird aber vielerorts humorvoll angepackt – ohne dass Probleme unter den Teppich gekehrt würden.

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Wer hätte das gedacht? Plastiktüten halten länger als eine durchschnittliche Ehe. Ein Zigarettenstummel kann bis zu 40 l Grundwasser verunreinigen. Und der Stapel aller in einer Stunde in Deutschland entsorgten Coffee-to-go-Becher würde die Zugspitze mit Leichtigkeit überragen. Ferner sind selbst Plastikflaschen und Grönlandwale nicht so verschiedenartig, wie man meinen könnte: Beide kommen im Meer vor und werden mehrere Hundert Jahre alt. Mit diesen gleichsam informativen wie unterhaltsamen „Clean Facts“ bringt die Stadtreinigung Frankfurt das Ausmaß der Müllmisere auf den Punkt und nimmt den Kampf gegen Müllsünder auf. Exemplarisch zeigen die Fragen der aktuellen Kampagne, wie einfallsreich städtische Reinigungsunternehmen schon seit Jahren für die saubere Sache werben. Auch in Metropolen wie Berlin, Hamburg, Dortmund oder Wien wird mit viel Kreativität gegen Stadtverschmutzer vorgegangen.

Mancher mag sich dabei fragen, warum kommunale Unternehmen überhaupt werben müssen, stehen sie doch weder im Wettbewerb noch haben sie kommerzielle Interessen. Doch auch für städtische Entsorger gibt es gute Gründe für den Dialog. Einen davon nennt Reinhard Fiedler, Pressesprecher der Stadtreinigung Hamburg (SRH): „Wir bewerben u.a. unser Dienstleistungsangebot, denn auch Monopolisten müssen ihre Kunden davon überzeugen, dass sie bei ihnen gut aufgehoben sind.“ Daneben ist es v.a. das aufklärerische Moment, das die Kampagnenarbeit bestimmt sowie die klare Botschaft, dass Vermüllung kein Kavaliersdelikt ist. „Das wichtigste Ziel unserer Kampagnen ist es, eine Bewusstseins- und Verhaltensänderung herbeizuführen“, betont die Kommunikationschefin der Berliner Stadtreinigung (BSR), Sabine Thümler. „Keine Stadtreinigung kann alleine für eine saubere Stadt sorgen, wenn der Müll schneller wieder auf der Straße liegt, als man ihn wegfegen kann.“

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Die Berliner Stadtreinigung (BSR) glänzt nicht nur bei den hauseigenen Out-of-home-Medien mit Wortspielen, sondern auch bei den Fanartikeln.

Image aufpolieren

Schon 1999 glänzte die BSR mit einer Kampagne, die vielen Berlinern bis heute im Gedächtnis geblieben ist, zahlreichen Städten diente sie zudem als Vorbild, wie man vom anonymen Kommunalbetrieb zum Sympathieträger avanciert. Den Berlinern gelang das mit launig in Szene gesetzten Straßenfegern und Müllmännern, die zu Wortspielen wie „Saturday Night-Feger“, „Matschos“ oder „drei Wetter tough“ auf Plakaten posierten. Unter dem Motto „We kehr for you“ kommunizierte sich die BSR in die Herzen der Hauptstädter und schaffte es mit der charmanten Imageoffensive sogar in die Schulbücher für die gymnasiale Oberstufe – als anschauliches Beispiel dafür, wie Meinungsbildung in den Medien funktioniert. Dabei war es nicht der Humor allein, der die Anzeigenkampagne so erfolgreich gemacht hat, erklärt René Heymann, CEO der damals verantwortlichen Agentur Heymann Brandt de Gelmini. „Die Headlines der BSR-Kampagne wirken auch deswegen besonders gut, weil sie zwei Ebenen ansprechen: „Saturday Night Feger“ ist nicht nur lustig, sondern auch ein Dienstleistungsversprechen.“ Und Thümler berichtet: „Wir haben von Anfang an nie mit dem erhobenen Zeigefinger, nie mit bedrohlichen Szenen gearbeitet, sondern immer mit einem Augenzwinkern, mit Humor, nach außen kommuniziert. Das passt zu uns, zu unseren Kolleginnen und Kollegen und auch zu Berlin.“

Mit einer auf die Zielgruppe zugeschnittenen Marketingstrategie und viel Lokalkolorit wirbt auch der Dortmunder Entsorger EDG. Im Zentrum der Kampagne „100% EDG“ stehen Reportagefotos in Schwarzweiß, die echte Mitarbeiter in realen Arbeitssituationen zeigen – auf der Straße, beim Kunden, auf den Betriebsstätten und in der Verwaltung. „100% EDG steht für die Identifikation mit der Arbeit und der Heimat. Gleichzeitig vermitteln wir damit nach außen, dass nicht nur Versorger, sondern auch Entsorger wichtig sind, ebenso wie Recycling und Kreislaufwirtschaft, denn die Lebenszyklen von Produkten werden immer kürzer und Rohstoffe knapper“, konstatiert Sandra Dräger, Mitarbeiterin in der Marketingabteilung der EDG.

Werben am Point of Waste

Um ihre Botschaften zu transportieren, greifen viele Stadtreiniger auf ihre hauseigenen Out-of-home-Medien wie Abfalleimer, Müllwagen oder sanitäre Anlagen zurück. Bei knappen Budgets, gebührenfinanziert, müssen sie das Machbare ausloten und das Vorhandene nutzen. Als einer der Vorreiter wechselte die Hamburger Stadtreinigung 2004 die Farbe ihrer Abfalleimer: Die mausgrauen Behälter wurden Rot und mit humorvollen Sprechblasen wie „Ich wär so gerne Müllionär!“, „Bin für jeden Dreck zu haben“ oder „24h geöffnet“ beklebt. „Statt unser Angebot zu tarnen, haben wir es weithin sichtbar gemacht“, erzählt Fiedler von der SRH. „Ursprünglich war die Aktion nur für ein Jahr geplant, doch sie schlug ein wie eine Bombe. Viele Hamburger beteiligten sich an der Sprüchesuche, unzählige Städte folgten unserem Beispiel. Und weil die Sprechblasen gerade zu Beginn sehr gefragt waren, haben wir sie eine Zeit lang sogar als Aufkleber verschenkt.“

Auch in Berlin sind die Abfallbehälter bereits seit 1999 ein valides Mittel, um bei Passanten den Sinn für Sauberkeit zu schärfen. Mit 3,7 Mio. Einwohnern und jährlich 13 Mio. Touristen ist das in der Hauptstadt eine echte Herkulesaufgabe. „Während es in der ersten Phase der Kampagne um uns als Dienstleistungsunternehmen ging, haben wir im nächsten Schritt die Verantwortung aller in den Mittelpunkt gestellt – Protagonisten dafür waren und sind unsere 23.000 Papierkörbe“, so Thümler. Die Botschaften auch hier humorvoll – mit Sprüchen wie „Gute Sitte in Mitte“, „Corpus für alle Delicti“ oder „Star Dreck“. Die Reinigungsflotte macht flankierend dazu mit „Poliertesse“, „Mülle grazie“ oder „Räumschiff“ mobil. „Nicht zu vergessen unsere Kolleginnen und Kollegen in Orange. Auch das sind Botschafter der Stadt. Zu besonderen Anlässen wie dem Christopher Street Day oder der diesjährigen Leichtathletik-EM tragen sie speziell bedruckte T-Shirts und werben damit direkt am Ort des Geschehens.“ Abseits dieser plakativen Botschaften setzen die Entsorger auf ein ganzes Bündel von Maßnahmen, um ihre Anliegen themen-, zielgruppen- und anlassbezogen zu kommunizieren. Dazu gehören Abfallberatung und Umwelterziehung für Kinder und Jugendliche ebenso wie Sponsoringaktivitäten, Recruitingmessen, Möbelbörsen und Secondhand-Kaufhäuser.

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Mit Plakatmotiven und haptischen Werbeträgern brach die Wiener Stadtreinigung M 48 mit einem Wiener Wahrzeichen und mahnte so konkrete Hinterlassenschaften an.

Schöne Bekehrung

Zur Verbreitung ihrer Mission setzen viele der kommunalen Unternehmen unterstützend auf haptische Werbung. Wie sich etwa der crossmediale Bogen von einer Kampagne zum gegenständlichen Werbeträger schlagen lässt, zeigt ein Beispiel aus Wien. Seit Jahren geht die Stadt, die zu den saubersten Städten der Welt zählt, konsequent gegen Müllsünder vor. Neben den sogenannten Waste Watchern, die auf den Straßen Wiens patrouillieren, lanciert die Wiener Stadtreinigung MA 48 alljährlich eine Sauberkeitskampagne. Dabei sorgte v.a. das Motiv aus dem Jahr 2011 in der Stadt für Diskussionen: Statt der klassischen Schneekugeln mit Stephansdom oder Kaiserin Sissi wurden die Wiener Originale mit „Hundstrümmerln“ (Hundekot), „Tschickstummeln“ (Zigarettenkippen) und Sperrmüll bestückt – und mahnten dergestalt die konkreten Hinterlassenschaften an. „Für die Plakatkampagne haben wir das Wiener Wahrzeichen bewusst gebrochen und überraschend neu inszeniert, um so an den Stolz der Wienerinnen und Wiener zu appellieren“, erklärt Ulrike Volk, Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit der MA 48. Begleitend zu der Plakatkampagne wurden die Schneekugeln in kleiner Auflage produziert und als Werbebotschafter für „Wien bleibt clean“ an Journalisten verteilt. „Natürlich ist es provokant, mit Hinterlassenschaften wie Hundekot zu werben, aber um aufzufallen, muss man anders sein“, betont Volk.

Große Aufmerksamkeit wurde vor einigen Jahren auch der Hamburger Stadtreinigung zuteil. Mit dem „Trashcam-Projekt“ gelang es der SRH, einer breiten Öffentlichkeit zu zeigen, dass sie mehr ist als bloß die „Mülle“. Zehn Müllmänner und eine Müllfrau zogen dazu mit einem zur Lochkamera umgebauten 1.100 l-Container los und fotografierten ihre Lieblingsplätze. Mit Belichtungszeiten von bis zu einer Stunde entstanden bemerkenswerte Schwarzweißbilder, die sogenannten Tonnografien, die sich dank zahlreicher Medienberichte schnell verbreiteten. Allein in Deutschland konnten über die Aktion mehr als 30 Mio. Menschen erreicht werden. „Mit dem Trashcam-Projekt ist es uns gelungen, unseren Mitarbeitern, die man üblicherweise übersieht, eine Bühne zu geben. Damit hat die Kampagne unglaublich viel für das Selbstbewusstsein und die Anerkennung der Hamburger Müllwerker getan“, bilanziert SRH-Pressesprecher Fiedler. Eine Steilvorlage für den haptischen Transfer. Aus den Fotomotiven entstand im Nachgang ein großformatiger Wandkalender, der in einer Auflage von 5.000 Exemplaren zum Jahresende 2013 an gute Kunden und Mitarbeiter überreicht wurde. Fiedler: „Bei uns werden Werbeartikel nur sehr gezielt eingesetzt – und wenn, dann müssen sie unsere Inhalte transportieren. Der Kalender tut das in ganz besonderer Weise.“

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Mit einer zur Lochkamera umgebauten Mülltonne zogen die Mitarbeiter der Hamburger Stadtreinigung los und fotografierten ihre Lieblingsplätze. So entstand ein einzigartiger Wandkalender für Kunden und Mitarbeiter

Für alle, die nicht ganz sauber sind

Wer, wenn nicht Abfallbetriebe müssen ihre haptischen Werbeträger mit Bedacht auswählen, da sie andernfalls viel zu schnell wieder im eigenen Zuständigkeitsbereich landen. „Nach Möglichkeit sollen die Artikel unsere Ziele wie Abfallvermeidung, Abfalltrennung, Stadtsauberkeit und Umweltbildung unterstützen“, gibt Thümler die Richtung für die Berliner Stadtreinigung vor. Viele der orangefarbenen Fanartikel aus dem BSR-Shop docken an diese Ziele an, darunter faltbare Brottücher und -boxen, die als „Kraftpakete“ vermarktet werden, Mehrwegbecher, die als „Better World Cups“ gegen Wegwerfbecher antreten oder auch Waschlappen, die allen empfohlen werden, die nicht ganz sauber sind. Um gezielt das Thema Mülltrennung voranzubringen, setzen viele Kommunen auf praktische Helfer wie Sammelbehälter und -taschen. „Früher ging es darum, dass überhaupt getrennt wird. Heute geht es um die richtige Trennung, denn die Restmülltonne wird immer noch zur Hälfte mit Stoffen befüllt, die dort nicht hineingehören“, erklärt Fiedler von der SRH. Die Stadtreinigung Wien verschickte aus diesem Grund bereits zum wiederholten Mal Vorsammeltaschen für Stoffe wie Glas, Metall, Plastikflaschen oder Papier an alle Wiener Haushalte. Der Aufdruck „I’ll be back“ schlägt dabei den inhaltlichen Bogen und lehnt sich augenzwinkernd an den legendären Spruch von Arnold Schwarzenegger als Terminator an.

Recycling, Ressourcenschonung und Klimaschutz sind auch nach Dräger von der EDG nicht nur zentrale Aufgaben im Unternehmen, sie bestimmen ebenso die externe Kommunikation – und lassen sich „besonders gut mit haptischen Werbeträgern transportieren“. Mit gezielten Aktionen teasern die Dortmunder immer wieder aktuelle Themen an. So wurden z.B. bei der Abschlussveranstaltung „Sauberes Dortmund 2017 – Mach mit!“ im Tausch gegen Plastiktüten umweltfreundlichere Einkaufsbeutel angeboten. Abfallvermeidungstipps und Informationen zur Vermüllung der Weltmeere gab es gratis dazu. Neben solchen Werbeartikelklassikern setzt der Entsorger aus der Ruhrmetropole ebenfalls Sonderanfertigungen ein. „Für alle unsere Artikel gilt, dass sie qualitativ sehr hochwertig sein müssen. Und im besten Falle sind sie auch einzigartig“, erläutert Dräger. So wie z.B. die von Hand bemalten Räuchermännchen im Look der EDG-Müllmänner, die 2017 als Weihnachtspräsent an Multiplikatoren aus Politik und Wirtschaft sowie an alle Tochtergesellschaften verschickt wurden. Dräger: „Qualität lässt sich buchstäblich schnell erfassen, und gerade solche Produkte bleiben dann oft über einen langen Zeitraum im Besitz der Empfänger.“

Doch was bringen solche Kampagnen inklusive ihrer Sympathieträger tatsächlich unterm Strich? Werden deshalb weniger Zigaretten achtlos weggeschmissen? Schrumpft der stündliche zugspitzengroße Coffee-to-go-Becher-Berg? Die Abfallreinigungsunternehmen sagen unisono: Die Kommunikation wirkt, wenn auch mit Einschränkungen. „Das Littering ist nicht zurückgegangen. Aber das hat vielmehr damit zu tun, dass die Stadt wächst, wir steigende Touristenzahlen haben und sich das Leben in den letzten Jahrzehnten zunehmend nach draußen verlagert hat. Die Menschen nutzen den öffentlichen Raum anders und intensiver. Wer hat sich vor 20 Jahren schon seine Pizza in den Park bestellt, und wie viele Lieferdienste gab es da überhaupt“, so BSR-Pressechefin Thümler. Eindeutig verbessert hat sich dagegen das Image der Berliner Stadtreinigung: Nach einer Forsa-Umfrage der Berliner Zeitung wurde die BSR 2014 zum beliebtesten Unternehmen der Hauptstadt gewählt. Auch die Motivation zur Abfalltrennung ist gestiegen. So erhöhte sich z.B. der getrennt gesammelte Bioabfall in Berlin innerhalb weniger Jahre von 50.000 auf 75.000 Gewichtstonnen.

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Der Dortmunder Entsorger EDG setzt mit seiner Kampagne auf Lokalkolorit, authentische Reportagefotos und nachhaltige Werbeartikel.

Die größte deutschlandweite Stadtputzaktion vermeldete in diesem Jahr Hamburg: Mit mehr als 72.000 Teilnehmern stellte die Hansestadt bei ihrem jährlichen Frühjahrsputz einen Rekord auf. Besonders erfreulich neben den zahlreichen Helfern: die drastisch gesunkene Müllmenge. Ebenso vermeldet die MA 48 aus Wien Rekordwerte: Pro Tag werden inzwischen rund 100.000 gefüllte Hundekotsackerl in die Papierkörbe und Restmüllbehälter geworfen. Das macht rund 36 Mio. pro Jahr und ist bei 55.800 gemeldeten Hunden ein bemerkenswertes Ergebnis. Ein positiver Trend auch bei den ordnungsgemäß entsorgten „Tschickstummeln“: Landeten im Jahr 2009 nur etwa 6,6 Mio. Zigarettenkippen in den Aschenbechern, so waren dies 2017 bereits mehr als 123 Mio. Ein Segen, nicht nur für die Stadtsauberkeit, sondern auch für die Umwelt, denn – man erinnere sich an die „sauberen Fakten“ – schon ein einziger sorglos weggeworfener Zigarettenstummel kann große Mengen an Grundwasser verunreinigen.

// Andrea Bothe

Fotos: BSR (2); EDG (2); PID Christian Houdek (1); Werner Buennig, Roland Werner, SRH (2)

 

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