Die Wiener Lienen machen Österreichs Hauptstadt mobil und überzeugen dabei nicht nur mit einem gut ausgebauten Verkehrsnetz und einer effizienten Taktung. Nina Wach, stellvertretende Leiterin der Unternehmenskommunikation, über mutiges Marketing „made in Wien“ inklusive Donauwalzer und Darknet.

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Frau Wach, Mobilität ist eines der zentralen Zukunftsthemen. Wien wird in diesem Zusammenhang immer wieder lobend erwähnt, da der Anteil am öffentlichen Nahverkehr hier mit 38% (2019) über dem europäischen Durchschnitt liegt. Was machen Sie besser als andere Player?

Nina Wach: Ein wichtiger Faktor ist das integrierte Netz. Alle öffentlichen Verkehrsmittel sind in unserer Hand, sodass wir sie perfekt aufeinander abstimmen können. Darüber hinaus haben wir eine sehr gute Netzabdeckung – nicht nur in den dicht besiedelten innerstädtischen Gebieten, sondern auch in den Grünbezirken am Stadtrand. Bis zur nächsten Haltestelle eines Betriebsmittels dürfen es bei uns nicht mehr als 800 m sein. Da wir außerdem zu 100% im Eigentum der Stadt Wien stehen, können wir uns bei Themen wie Klimaschutz und Verkehrsplanung wechselseitig in die Karten spielen.

Die Wiener Linien sind in der Hauptstadt die erste Adresse für Mobilität. Mit U-Bahn, Bus und Straßenbahn befördert Ihr Unternehmen täglich 2,6 Mio. Fahrgäste und ist zudem einer der größten Arbeitgeber der Stadt. Welche vorrangigen Ziele verfolgen Sie bei der Kommunikation?

Nina Wach: Wir kommunizieren partnerschaftlich und auf Augenhöhe, sehr werteorientiert, zeigen Respekt und Toleranz. Auch in unseren Kampagnen betonen wir, dass sich die Wiener Linien über jeden Fahrgast freuen – egal welcher Nationalität, religiöser Zugehörigkeit oder sexueller Orientierung er angehört.

Auf ein recht provokantes Kampagnenkonzept setzen die Berliner Verkehrsbetriebe. Eine der Hauptzutaten: Humor. Die Tonality: Berliner Schnauze. Wie würden Sie den Ansatz der Wiener Linien beschreiben?

Nina Wach: Die BVG ist rotzfrech und wertet ihre Fahrgäste satirisch mitunter ab. Sie kommuniziert getreu dem Motto: Ach, ihr Armen, die ihr bei uns in den Öffis sitzen müsst. Damit ist der BVG aber auch ein sehr geschickter Kunstgriff geglückt: Statt für ein Netz, das definitiv noch Luft nach oben hat, Besserung zu geloben, werden Schwächen inszeniert und überhöht. Das kommt gut an. So etwas könnten wir uns niemals erlauben, und das entspräche auch nicht unserem Selbstverständnis.

Welche Töne schlagen Sie stattdessen in der Kommunikation an?

Nina Wach: Wir setzen auf Schmäh statt Schnauze. Dieser vielbemühte Wiener Schmäh ist eine ganz spezielle Mischung: ein bisschen frech, aber nicht beleidigend, wenig zynisch, aber humorvoll. Wir sprechen Dinge klar an, kommunizieren mutig und offen.

WL 45 Druck 300dpi - „Schmäh statt Schnauze“Viele Ihrer Maßnahmen wie z.B. die interaktive Videokampagne zu kritischen Situationen in öffentlichen Verkehrsmitteln wurden ausgezeichnet. Andere Aktionen wie der Song „Wir fahren U-Bahn“ gingen viral. Auf welche Ingredienzen setzen Sie bei Marketingaktionen?

Nina Wach: Vieles probieren wir einfach aus. Z.B. haben wir den Valentinstag im vergangenen Jahr mit einem Facebook-Posting gefeiert, das zwei küssende Fußballfans von Rapid und Inter Mailand zeigt. Dazu gab es im Vorfeld sehr divergente Meinungen. Doch letztlich sind wir mit der Aktion gut gefahren – und das ermutigt uns, diesen Weg weiterzugehen. Auch der Song „Wir fahren U-Bahn“ mit Rudi Nemeczek, dem Frontsänger der Wiener Kultband Minisex, war ein solches Experiment. Gemeinsam mit dem Urgestein der Musikszene haben wir einen Song aus den 1980er Jahren neu aufgelegt und für die Öffis uminterpretiert. Das war eine coole Kooperation, die viel Spaß gemacht hat und unserem Selbstverständnis entspricht.

Neben solchen Musikvideos spielen die Wiener Linien auch beim Thema Sound Branding mit. Wie weit reicht die akustische Markenführung, die 2016 mit einem Red Dot Design Award ausgezeichnet wurde?

Nina Wach: Zunächst haben wir im Jahr 2012 eine akustische Inventur aller Tongeber und Alarmsignale durchgeführt und diese dann gemeinsam mit zwei Agenturen Stück für Stück angepackt – von Signal- und Gongtönen über Ticketautomaten bis hin zu sämtlichen Durchsagen. So ist eine einzigartige Soundidentität entstanden, die z.B. mit musikalischen Elementen aus dem Donauwalzer einen starken Bezug zur Stadt hat. Im Zuge dieses Projekts haben wir außerdem das gesamte Wording der Durchsagen überarbeitet, die allesamt noch aus den 1970er Jahren stammten und viele konjunktivistische und entpersonalisierte Formulierungen beinhalteten. Ebenso wurden die Vorgaben für die Live-Durchsagen angepasst. Es war dabei nicht immer ganz einfach, Neuerungen wie etwa die Anrede „Liebe Fahrgäste …“ bei den Kolleginnen und Kollegen in den Leitstellen durchzusetzen. Zunächst hieß es oft erst einmal reflexartig: „Das san keine Fahrgäste, das san Beförderungsfälle.“

Haltung zu zeigen gehört zum Markenverständnis der Wiener Linien. So haben Sie z.B. Ende vergangenen Jahres das Phänomen „Manspreading“ thematisiert. Im Fokus: bildhafte Darstellungen von Männern mit breit gegrätschten Beinen und dem Slogan „Sei ein Ehrenmann und halt deine Beine zam!“ Wie kommt so etwas an?

Nina Wach: Mit der Aktion haben wir eine große mediale Präsenz erzielt. Selbst Zeit im Bild 1 hat in den Hauptabendnachrichten darüber berichtet. Insgesamt fielen die Reaktionen darauf jedoch sehr zweigeteilt aus: Während die Medien das Thema positiv aufgriffen haben, fühlten sich unzählige Männer in ihrer Pracht und Herrlichkeit beschnitten. Doch letztendlich haben wir unser Ziel erreicht, denn vor allem in den sozialen Netzwerken wurde sehr lebhaft darüber diskutiert.

Mit Kampagnen und Aktionen sind Sie jedoch nicht nur digital unterwegs. Auch haptische Werbung ist ein wesentlicher Bestandteil Ihrer Kommunikation. So wurde z.B. die U-Bahn-Kollektion The history of Blue – mit Socken, Strumpfhose, Schal und Mütze im Look der früheren Stoffsitzbezüge – mit dem Promotional Gift Award ausgezeichnet. Worauf fahren die Wiener ab?

Nina Wach: Wir bringen immer wieder neue Merchandisingkollektionen mit neuen Designs heraus. Sehr erfolgreich war z.B. unsere limitierte Darknet-Serie im schwarzweißen Netzplan-Design, die wir 2019 mit Produkten wie z.B. einem Paar Socken, einer Isolierflasche oder einem Hoodie exklusiv für den Weihnachtsmarkt im Verkehrsmuseum Remise aufgelegt haben. Auch die Artikel für die Regenbogenparade 2019 waren schnell vergriffen, darunter Shirts und Kondome mit der Aufschrift „Mit uns kommst Du sicher“. Darüber hinaus kampagnisieren wir in unseren Medienkanälen regelmäßig saisonale Produkte wie Mützen, Schals oder Bademode und spielen dabei oft mit der Verknappung. Auch Trendprodukte wie eine aus recyceltem Plastik hergestellte Sonnenbrille haben wir in unserem Portfolio. Der besondere Clou daran: Das Rautenmuster-Logo auf den Gläsern, das dank einer speziellen Linsentechnologie nur für das Gegenüber sichtbar ist. Dieser Artikel wird vermutlich kein Kassenschlager, aber er steht dafür, dass wir uns auch an moderne innovative Produkte trauen. Andere Merchandisingartikel wie Nostalgiekalender, alte Haltestellentafeln oder Kühlschrankmagnete werden uns dagegen zu Tausenden aus den Händen gerissen.

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Wie relevant sind haptische Botschafter im Rahmen der internen Unternehmenskommunikation?

Nina Wach: Auch hier kommunizieren wir ab und zu haptisch. Z.B. hat die Geschäftsführung im Frühsommer dieses Jahres – abseits der Dienstmasken – allen Kolleginnen und Kollegen eine gebrandete Maske als kleines Dankeschön für ihre Arbeit überreicht. Diese Geste ist sehr gut angekommen. Darüber hinaus haben wir eine eigene Produktlinie mit Prämien entwickelt, die von Führungskräften als Dankeschön an ihre Mitarbeiter eingesetzt werden können. Dazu gehören Laptophüllen, ledergebundene Notizbücher und Upcycling-Produkte wie aus alten Uniformen hergestellte Crossbody Bags.

Spielt haptische Werbung im B2B-Bereich ebenfalls eine Rolle?

Nina Wach: Da wir in sehr regem Austausch mit anderen europäischen ÖPNV-Anbietern sind, haben wir verschiedene Mitbringsel und Präsente in Einsatz. Besonders stolz bin ich auf unsere Schienenstücke. Das sind Originale, schmale Querschnitte einer Vignolschiene, verchromt, aufpoliert, aufwendig verpackt und begleitet von ein paar Zeilen zur Entstehungsgeschichte. Ein solches Präsent kostet Lawinen, das ist es uns aber wert.

Was macht gute haptische Werbung für Sie aus?

Nina Wach: Es muss eine große Überschneidung von Marke und Merchandising geben. Das ist z.B. bei unserer Capsule Collection der Fall, die wir 2018 erstmalig herausgebracht haben. Damals wurde der Launch der Kleidungsstücke mit einem Musikvideo flankiert, das aus Falcos „Kommissar“ mit viel Wortwitz und 1980er Jahre-Feeling einen „Kontrolleur“ gemacht hat. Die Sweater, Shirts und Caps sprechen ein sehr junges Zielpublikum an, sind streng limitiert und lassen sich nur auf dem Release-Event erwerben. Und tatsächlich werden wir auf diesen Veranstaltungen von jungen Hipstern überrannt. Das ist die Generation Z, von denen viele kein Auto mehr besitzen und stattdessen ganz selbstverständlich mit den Öffis fahren. Und die Capsule Collection ist unser Kanal zu ihnen.

Gruppenfoto - „Schmäh statt Schnauze“Welche Kriterien müssen Fanartikel erfüllen, um für die Wiener Linien mobil zu machen?

Nina Wach: Unserem Markenverständnis entsprechend, legen wir sehr viel Wert auf Nachhaltigkeit. Produktionen aus Fernost versuchen wir weitestgehend zu vermeiden, auch wenn das gerade bei hohen Stückzahlen, z.B. bei Produkten für unsere 9.000 Mitarbeiter, nicht immer möglich ist. Bei den Merchandisingartikeln kommt jedoch so gut wie alles aus Europa, vieles sogar aus Österreich. Wenn ich statt einer Großweberei in der Türkei einen Betrieb im Waldviertel beschäftigen kann, dann ist mir das etwas wert und dafür zahle ich gerne auch etwas mehr. Ein weiteres Kriterium für Nachhaltigkeit ist eine lange Lebensdauer der Produkte. Sind sie zudem gut gemacht, evozieren sie unglaublich viele Kontakte – mit dem Besitzer, aber auch mit seinem Umfeld. Im Prinzip sind es kommunizierende Vehikel, mit denen ich meine Liebe zu den Öffis erkläre. Hier sind haptische Werbeträger einfach unschlagbar weit vorne. Bildlich gesprochen schaffen sie es bis in die Schlafzimmer der Zielgruppe.

// Mit Nina Wach sprach Andrea Bothe.

Bildquelle: Manfred Helmer (2); Wiener Linien (7)

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