Als Managing Director von september Strategie & Forschung hat Oliver Spitzer eine Studie aus 2021 zur emotionalen Wirkung von Werbeartikeln maßgeblich begleitet. Der Emotionsforscher zeigt sich von den guten Ergebnissen bei Attraktivität, Relevanz und Sympathie regelrecht „schockiert“, empfiehlt, haptische Werbung möglichst am Anfang eines Kaufprozesses einzusetzen, und wünscht sich ein besseres Verständnis für die emotionale Dramaturgie von Kampagnen. Ein Gespräch über Säbelzahntiger, Markenflirts, zu kleine Geschenke an den Ehepartner und sich kurz öffnende Wahrnehmungsfenster.

Landingpage Startseite - „Werbeartikel sind richtig gut, um Kampagnen einen Push zu geben“

Voll verkabelt: Die Startseite der Landingpage www.1001emotion.de ahmt die Laborsituation nach, in der die Studie entstanden ist.

Herr Spitzer, was waren Ihre Erwartungen, als der GWW (Gesamtverband der Werbeartikel-Wirtschaft e.V.) an Sie herangetreten ist, mit der Bitte eine Studie zur emotionalen Wirkung von Werbeartikeln durchzuführen?

Oliver Spitzer: Ich war gespannt, ob sich meine Erwartungen bestätigen. Ich komme ja von der Agenturseite und bin dann eher in einer Mischung aus Trotz und Zufall in die Forschung reingerutscht. Und ich habe Werbeartikel damals so betrachtet, wie es häufig immer noch der Fall ist – als Streugut. Sie können nichts schaden, und sie kosten ja nicht viel, zumindest wenn man es an den Spendings für einen TV-Spot misst. Es gehört übrigens zu den Learnings unserer Untersuchung, dass das stimmt: Werbeartikel können wirklich nicht schaden, sie machen emotional nichts kaputt, selbst dann, wenn sie unpassend ausgewählt werden – dann verschenkt das werbende Unternehmen nur Potenzial. Es gehört aber ebenso zu den Learnings, dass die Wirkung haptischer Werbung für bestimmte Marketingziele weitgehend unterschätzt wird. Da haben Werbeartikel ein krasses Potenzial. Ich war selbst regelrecht schockiert, als ich gesehen habe, wie gut die Ergebnisse waren.

Das Design der Studie sieht vor, dass von 48 bunt nach Einkommen, Alter, Geschlecht und Herkunft gemischten Probanden die Körperwahrnehmungen bei der Beschäftigung mit Werbeartikeln gemessen und anschließend tiefenpsychologische Interviews durchgeführt werden. Warum braucht es die Kombination aus beiden Maßnahmen? Und ist die Stichprobe groß genug, um überhaupt zuverlässige Aussagen treffen zu können?

Oliver Spitzer GF september 04 gross - „Werbeartikel sind richtig gut, um Kampagnen einen Push zu geben“

Oliver Spitzer ist Managing Partner der september Strategie & Forschung GmbH. Nach seinem Master in Psychologie war er für internationale Werbeagenturen tätig. Sein Schwerpunkt liegt heute in der Beratung von Kunden und der kontinuierlichen Weiterentwicklung der angewandten wissenschaftlichen Emotionsforschung.

Oliver Spitzer: Unsere Methodik ist wissenschaftlich erprobt, die Frage nach der Größe der Stichprobe wird häufig gestellt. Es kann sein, dass wir einzelne Bevölkerungsgruppen jetzt nicht repräsentiert haben, aber mit unserer Auswahl können wir die breite Masse, um die es bei allgemeingültigen Aussagen geht, sehr gut abbilden. Man muss wissen, dass man in der klassischen Meinungsforschung v.a. deshalb eine große Stichprobe braucht, weil es Auskunftstendenzen – z.B. in Form sozial erwünschter Angaben – gibt, die das Bild verfälschen. Diese Unschärfen versucht man auszugleichen, indem man Mittelwerte ermittelt. Wir fragen aber nicht nach Meinungen, wir messen Körpersignale. Und der Körper lügt nicht. Flapsig gesagt, zapfen wir das Unterbewusstsein direkt an. Wir müssen daher bei den Ergebnissen nichts „wegmitteln.“ Alle Menschen sind letztlich von der Steinzeit geprägt. Jede Emotion hat einen Sinn und löst unterbewusst als Vorbereitung für Handlungen bestimmte körperliche Reaktionen aus. Wäre das nicht der Fall, wäre die Emotion nutzlos, und es gäbe sie nicht mehr.

Nehmen Sie die Angst vor dem Säbelzahntiger. Ohne die Angst würde der Mensch nicht weglaufen. Wir messen in unseren Untersuchungen den Herzschlag, die Stärke des Pulses oder Mikroexpressionen in der Mimik beim Lächeln, Stirnrunzeln etc. und fassen die Reaktionen, die komplett unbewusst ablaufen, zu einem Muster zusammen. Bestimmte Muster sind dann sogenannten Emotional KPIs wie beispielsweise Vertrauen und Attraktivität zugeordnet, sodass wir durch die Messung der Körpersignale sehen können, welche Maßnahmen auf welche Emotion einzahlen. Was wir dann noch nicht wissen, ist, woher die Reaktionen kommen. Wenn ein Proband z.B. auf einen schwarzen Rucksack mit Rewe-Aufdruck positiv reagiert, könnte es daran liegen, dass er den Rucksack toll findet, die Farbe Schwarz mag, bei Rewe immer einkaufen geht oder den Forscher gerade so sympathisch findet.

Es gibt auch das Phänomen, dass man Produkte, die man immer schon schlecht fand, im ersten Augenblick attraktiv bewertet, wenn sie den Eindruck bestätigen, also schlecht sind. Dann gibt einem das Gefühl, recht zu haben, eine positive Emotion. Daher führen wir die tiefenpsychologischen Interviews durch, um solche Verfälschungen auszuschließen und anschließend Aussagen treffen zu können, was die Emotionen tatsächlich ausgelöst hat.

Sie sagen, haptische Werbung hat in den Untersuchungen überdurchschnittlich gut abgeschnitten. Kann man das konkretisieren oder sogar quantifizieren im Vergleich zu anderen Medien?

Oliver Spitzer: Aussagen wie „Werbeartikel wirken doppelt so attraktiv wie TV-Spots“ oder dergleichen kann man nicht treffen. Da wir von Mittelwerten sprechen, gibt es immer Einzelfälle, die solchen generalisierten Aussagen widersprechen würden. Es ist auch nicht so, als würden Werbeartikel alle Emotionsskalen sprengen, wie es manchmal nach der Veröffentlichung der Studie wiedergegeben worden ist. TV z.B. ist in puncto Vertrauen klar die Nummer 1, weil der Verbraucher weiß, dass viel Geld in einen Spot gesteckt wird, und weil dem Fernsehen auch eine Versorger-Rolle zugeschrieben wird.

Aber es gibt auf der Landkarte der Emotionen verschiedene emotionale Profile, die unterschiedliche Medien unterschiedlich stark bedienen. Und haptische Werbung löst etwas ganz anderes aus als Fernsehen, nämlich Attraktion. Man fühlt sich zu der Marke hingezogen. Das ist insbesondere, wenn es um konkrete Kaufaufforderungen geht, der große Hebel ganz am Anfang des Sales-Prozesses. Zur Attraktion kommt dann die Relevanz – auch darin war der Werbeartikel stark –, wobei Relevanz auch nach hinten losgehen kann. Denken Sie an den LKW, der auf einen zurast: sehr relevant, aber wenig attraktiv. Relevanz und Attraktion zusammen sind jedoch zwei Treiber, die den ersten Schritt in der Verkaufsstrategie darstellen, dem dann noch zahlreiche weitere folgen.

In der Vergangenheit wurde u.a. mit der langen Nutzungsdauer von Werbeartikeln argumentiert. Ihre Erkenntnisse sprechen eher dafür, dass haptische Werbung ein Impulsgeber sein kann?

Oliver Spitzer: Ich würde, bildlich gesprochen, Werbeartikel immer eher verteilen, wenn jemand zum Laden reinkommt, als wenn er rausgeht. In der „Attraktivierung“ liegt ihr größter Benefit. Lange Präsenzzeiten sind eher ein willkommenes Add-on, aber das unterscheidet Werbeartikel nicht von anderen Medien. In den drei kaufrelevanten Kategorien Attraktivität, Relevanz und Sympathie waren Werbeartikel richtig gut, also darin, kurzfristig positive Emotionen auszulösen und Kampagnen am Anfang einen Push zu geben. Wenn wir es aus der psychologischen Perspektive betrachten, werden Werbeartikel leider oft am falschen Ende eingesetzt, also wirklich erst am Ende als Dankeschön oder Kundenbindungstool. Das entspricht in etwa dem Bild von dem Betrunkenen, der den Schlüssel unter der Laterne sucht, weil es dort am hellsten ist.

Sie haben ja unterschiedliche Werbeartikel vom Kugelschreiber über das Notizbuch aus Recyclingpapier und die Powerbank bis hin zum hochwertigen Rucksack auf ihre Wirkungen auf die Probanden untersucht – mit unterschiedlichen Ergebnissen. Was waren die Voraussetzungen dafür, dass ein Werbeartikel besonders gut abgeschnitten hat?

Oliver Spitzer: Es gibt nicht den einen Artikel, der alle anderen in den Schatten stellt, es ist tatsächlich total individuell und hängt sehr stark von der Beziehung zwischen Mensch und Marke ab. Den meisten Marken dürfte bekannt sein, in welcher Beziehung sie zum Kunden stehen, und das sollten sie bei der Auswahl der Werbeartikel berücksichtigen. Wir haben modellhaft drei Beziehungstypen analog zu menschlichen Beziehungen klassifiziert: Flirt, Romanze, Ehe. Bei einer langjährigen Beziehung, einer Ehe, zeige ich mich mit meinem Partner, dann gibt es bereits ein Vertrauensverhältnis, dann kann das Logo auch mal groß ausfallen. Und auch wenn der Ehepartner das Gegenteil behauptet und meint, eine Kleinigkeit reiche doch aus – das ist stets gelogen. Hier helfen eher dicke Geschenke, die wertig in der Wahrnehmung sind, oder solche, die gut zu mir passen, bei denen sich der Absender was gedacht hat.

Bei einem Flirt hingegen, bei den ersten Dates, wirkt ein zu teures Geschenk aufdringlich. Und ich möchte auch nicht unbedingt mit meinem Flirt in der Innenstadt gesehen werden. Allzu großes Branding sollte daher eher vermieden werden. Ich würde mir nach unseren Untersuchungen wünschen, dass das Marketing eine neue Frage lernt: „Passt der Werbeartikel zu der Beziehung, die die Marke mit dem Kunden führt?“

2O2A85802 - „Werbeartikel sind richtig gut, um Kampagnen einen Push zu geben“Sie beschäftigen sich hauptberuflich mit Emotionen. Gibt es aus Ihrer Sicht Erklärungsansätze dafür, warum haptische Werbung so stark emotionalisiert?

Oliver Spitzer: Ja, und dafür braucht man eigentlich kein Psychologiestudium. Es ist so einfach, wie es klingt: Psychologisch gesehen – nicht steuerrechtlich – sind Werbeartikel kleine Geschenke, lieb gemeinte Aufmerksamkeiten, für die keine Gegenleistung erwartet wird und die man dankend annehmen kann.

Werbeartikel sind haptisch erfahrbar. Ist auch das ein Grund für ihre Wirkung?

Oliver Spitzer: Haptik ist ein Treiber für die Intensität der Emotion, aus meiner Sicht aber nicht der entscheidende Treiber. Zumindest haben Werbeartikel, auch wenn sie vielfach zusätzlich den Spieltrieb triggern, das nicht exklusiv. Marken inszenieren sich auch am POS, auf Events oder durch Print in anderen Medien haptisch. Aber das haptische Erlebnis hat schon Einfluss auf die Wirkung.

Zusammengefasst: Sollten werbende Unternehmen mehr haptische Werbung einsetzen?

Oliver Spitzer: Auf jeden Fall. Wie schon gesagt: Sie können nichts falsch machen. Wenn aber die großen Player damit beginnen, Werbeartikel richtig einzusetzen, nicht nach dem Zeitgeist, sondern entsprechend der Beziehung zu ihren Kunden, dann wird es auch bald die Best Cases geben, in denen haptische Werbung als total emotionaler Booster für Kampagnen fungiert und Kaufentscheidungen vorantreibt.

Das Thema Emotion hat in den Marketingabteilungen einen hohen Stellenwert, wir sollten jedoch stärker differenzieren. Wer Emotion um jeden Preis erzielen möchte, dem reichen dann auch Bilder von Robben-Babys. In den meisten Fällen ist das aber nicht das alleinige Marketingziel. Wir müssen daher lernen, die emotionale Dramaturgie, das Orchester der Emotionen, besser zu verstehen, und dann die einzelnen Werbeformen zielgerichtet einsetzen. Über Attraktion und Relevanz kann haptische Werbung ein Wahrnehmungsfenster öffnen, das von den anderen Medien genutzt werden kann, um z.B. das Vertrauen zu stärken.

// Mit Oliver Spitzer sprach Dr. Mischa Delbrouck.

Bildquelle: september Strategie & Forschung (2); Screenshot www.1001emotion.de (1)

printfriendly pdf email button md - „Werbeartikel sind richtig gut, um Kampagnen einen Push zu geben“